Erben der Macht
darin waren, aus den wenigen Materialien, die ihnen in der Natur zur Verfügung standen, Gebrauchsgegenstände zu herzustellen. Besonders faszinierte sie die Kleidung, die sie aus Tierhäuten anfertigten und so verzierten, dass sie richtig schön aussah, wenn man denn Kleidung aus Tierhäuten mochte. Obwohl ihr Leben aus Marlandras Sicht hart und primitiv war, konnte sie sehen, wie glücklich die Menschen waren.
Sie lachten und spielten miteinander, besonders die Kinder, und waren fröhlich. Sangen Lieder, die nichts mit magischen Gesängen zu tun hatten, sondern nur der Freude dienten. Die Männer veranstalteten Wettkämpfe, in denen sie ihre Kraft und Geschicklichkeit maßen. Aber im Gegensatz zu ähnlichen Spielen unter Dämonen wurde niemand dabei ernsthaft verletzt.
Das Bild im Spiegel änderte sich schlagartig, als urplötzlich einer der Dämonen – Py’ashk’hu Corshonn – im Lager auftauchte und eine junge Frau angriff, die völlig überrascht wurde. Sie wehrte sich gegen ihn, und die Männer in ihrer Nähe griffen sofort ein, um ihr zu helfen. Marlandra sog scharf die Luft ein, als Corshonn mit einem Lächeln im Gesicht die ersten drei Männer tötete, indem er sie mit magischen Flammen einhüllte und sie lebendig verbrannte. Die anderen wichen zurück und versuchten, Corshonn zu töten, indem sie hölzerne Pfeile auf ihn abschossen. Doch alle Pfeile vergingen in Feuerblitzen, noch ehe sie ihn erreichten. Jeder Mann, der Corshonn angegriffen hatte, wurde von magischen Schwertklingen geköpft, die aus dem Nichts auftauchten, ihr blutiges Werk verrichteten und wieder verschwanden. Als die Frau, die Corshonn festhielt, zu schreien begann und sich noch stärker gegen ihn wehrte, brach er ihr das Genick, ehe er sich eine andere schnappte und mit ihr verschwand.
Die eben noch so fröhlichen Menschen brachen in Klagen und Tränen aus. Ihre Trauer schnitt Marlandra ins Herz. Sie umklammerte Marus Hand und blickte ihn entsetzt an. Auch er war erschüttert. Sie beide hatten ihr gesamtes Leben in ihren Residenzen verbracht, beschützt, vielmehr bewacht von ihren Untertanen. Seit sie sich kennengelernt und ineinander verliebt hatten, waren sie miteinander beschäftigt gewesen und hielten sich abwechselnd in der Residenz der Ke’tarr’ha und der Py’ashk’hu auf. Die Welt außerhalb, die Welt der Menschen, hatte sie bisher nicht interessiert. Das sei nicht wichtig, hatten ihnen sowohl Mokaryon wie auch Reya immer wieder gesagt. Natürlich wussten sie, dass ihre dämonischen Untertanen alles andere als zartfühlend waren, da aber niemand es wagte, gegen einen von ihnen beiden die Hand zu erheben, hatten sie noch nie das ganze Ausmaß dieser Grausamkeit erlebt.
„Warum hat Corshonn das getan?“ Sie blickte Maru verständnislos an.
Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß zwar, dass er und die anderen sich von Emotionen wie Angst ernähren, aber ich wusste nicht, dass sie die auf diese Weise erzeugen.“ Er schüttelte erneut den Kopf und ließ den Spiegel eine andere Situation anzeigen. Ließ ihn alle Situationen anzeigen, in denen Menschen und Dämonen einander begegnet waren, seit Letztere in diese Welt gekommen waren.
Es war eine Offenbarung. Aber keine gute. Was Corshonn getan hatte, war brutal und grausam, aber noch harmlos im Vergleich zu dem, was er und andere Dämonen zu anderen Zeiten und Gelegenheiten getan hatten.
„Wir müssen ihnen das verbieten!“ Marlandra fühlte sich den Tränen nahe. „Schließlich sind wir ihre Herrscher.“
Maru nickte langsam. „Das wohl. Ich frage mich aber, ob das klug wäre.“
Sie deutete empört an auf den Spiegel, in dem zu sehen war, wie einer der Ke’tarr’ha-Dämonen einen Menschen quälte, um sich an seiner Angst und seinen Schmerzen zu laben. „Du kannst doch nicht wollen, dass das so weitergeht, Maru?“
Er schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Da gibt es nur ein Problem: Die reinblütigen Dämonen ernähren sich ausschließlich von solchen Emotionen. Normale Nahrung macht sie nicht satt wie zum Beispiel uns. Wenn wir ihnen verbieten, sich auf die einzige Weise zu ernähren, die sie wirklich sättigt, verhungern sie. Beziehungsweise werden sie vor Hunger irgendwann wahnsinnig. Und ich wage nicht, mir vorzustellen, was sie dann unter den Menschen anrichten werden.“
Marlandra blickte betroffen auf das Geschehen im Spiegel und wieder zurück zu Maru. Er hatte recht. „Können wir denn gar nichts tun, um dem Einhalt zu gebieten? Wir müssen
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