Erben der Macht
Umstände – der Verrat eines Hüters, der zu den Mönchen übergelaufen war – hatten es erforderlich gemacht, Bronwyn bei den Kelleys zu verstecken. Und als sie sie endlich in Gewahrsam hatten nehmen können, war es zu spät gewesen und sie bereits mit Devlin liiert. Deshalb blieb nur noch die Option, einen von beiden zu töten, um die Katastrophe zu verhindern. Aber wahrscheinlich schafften sie wegen ihrer geringen Zahl nicht mal das.
Auch dafür fühlte sich Clive verantwortlich. Er hatte das FBI unterschätzt und hatte darauf spekuliert, dass die Agents nicht auf den Gedanken kommen würden, dass sich der Rest der Hüter – zu dem Zeitpunkt noch zweihundert – in einer der Enklaven verstecken könnten, die von den Dämonen vernichtet worden waren. Sie hatten nicht nur damit gerechnet, sie hatten die Hüter dort erwartet, als Clive sie hinbeordert hatte. Über hundert waren in die Falle gegangen, bevor einer sie bemerkt und die anderen gewarnt hatte.
Zum Glück hatte Clive Männer für den Bau einer Blockhütte, die als Tempel diente, anheuern können, die nicht zu den Hütern gehörten und deshalb auf keiner Fahndungsliste standen. Er und die anderen Hüter verstanden sowieso nicht, wie es dem FBI gelang, sie alle zu finden. Jeder Hüter der Waage erhielt bei seinem Eintritt in den Geheimbund einen magischen Schutz, der verhinderte, dass man ihn mit Magie aufspüren konnte. Da es keine schriftlichen Listen mit den Namen der Mitglieder gab und niemand damit hausieren ging, dass er einem Geheimbund angehörte, blieb es ein Rätsel, auf welchem Weg das FBI sie alle ohne Ausnahme sogar an den Orten fand, an die zu gehen sie sich erst wenige Stunden zuvor entschlossen hatten. Magie, keine Frage. Aber wie?
Doch das war unwichtig geworden. Die Hütte war vollendet und konnte ihrer Bestimmung zugeführt werden. Sie lag am Misquakee Lake, bei Savannah, Illinois, etwa hundertfünfzig Meilen von Chicago entfernt. Clive hatte diesen Ort ausgewählt, weil er erstens günstig genug lag, um von niemandem entdeckt zu werden, der unliebsame Fragen gestellt hätte. Zweitens hatte Clive das Gefühl, dass dieser Ort dafür geschaffen war wie kein anderer. Die magische Suche nach dem passenden Ort hatte ihn ausgewählt und Clive schon bei seinem ersten Besuch hier den Eindruck gewonnen, dass er diesen Ort kannte, der auf der Spitze einer Klippe über dem Seeufer lag. Als wenn er in einem früheren Leben schon einmal hier gewesen wäre.
Da sie nicht wussten, wie viel Zeit ihnen blieb, bis das FBI sie auch hier aufstöberte, hatte Clive alle noch in Freiheit befindlichen Hüter und die Mönche am Morgen des Sonnenwendtages herbeordert. Wer bis zehn Uhr dreißig nicht da war, auf den wurde nicht gewartet, weil er wahrscheinlich nicht mehr kommen würde.
Der genaue Zeitpunkt der Aktion war essenziell. In diesem Jahr wendete die Sonne exakt um elf Uhr zwölf. Wahrscheinlich würden spätestens um viertel vor elf alle Dämonen und ihre Helfer auf das zum Öffnen des Tores erforderliche Ritual konzentriert sein. Damit wären sie genug abgelenkt, um den Hütern und Mönchen den Vorteil der Überraschung zu geben. Der würde wahrscheinlich nur wenige Sekunden dauern, aber mit einem bisschen Glück würden die ausreichen, einen der beiden Halbdämonen zu töten. Für dieses Glück betete Clive jeden Tag mehrmals intensiv, seit der wahnwitzige Plan entstanden war, der heute ausgeführt werden sollte.
Gus Bellamy hatte die Blockhütte und den Poteau-mitan bereits gestern Abend geweiht, ein Akt, dessen Anstrengung den alten Mann das Leben gekostet hatte. Seine Leiche lag draußen im Schnee, eingehüllt in eine Decke, aber inzwischen steifgefroren. Er hatte gewusst, dass er sterben würde und darum gebeten, seine Leiche mitsamt dem Tempel zu verbrennen, nachdem der seine Aufgabe erfüllt hatte.
Jetzt galt es, den Dämon zu beschwören, dessen Samen Sheeba ihnen besorgt hatte. Zaphira Moses, Tochter eines Voodoopriesters und mit starken magischen Fähigkeiten ausgestattet, hatte bereits mit dem komplizierten Ritual begonnen. Clive, ein paar andere Hüter und Mönche standen im Inneren der Hütte an den Wänden, ihre Pistolen in der Hand und waren bereit, deren tödliche, mit Silber präparierte Munition auf den Dämon abzufeuern, falls es Zaphira nicht gelingen sollte, ihn unter Kontrolle zu bringen. Immer vorausgesetzt, die Beschwörung gelang ihr. Daran hegte Clive jedoch keinen Zweifel.
Zaphira streute das letzte Vévé –
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