Erben der Macht
anzunehmen?“
„Ja“, versicherte Nalin. „Denn nur, wenn du sie kennst, weißt du bewusst, welche Teile von dir zu ihr gehören und welche du aufgeben musst.“ Er sah ihr in die Augen. „Vertrau mir, Marlandra. Mein Leben steht in deinen Diensten. Davon abgesehen wollen alle Nagas und auch alle Dämonen, die über den Tellerrand der Befriedigung ihrer eigenen unmittelbaren Bedürfnisse hinaussehen, dass das Eine Tor für immer versiegelt wird.“
Sie glaubte ihm.
Nalin füllte die in den Boden eingelassene riesige Badewanne magisch mit Wasser und zauberte überall Kerzen und Schalen mit glimmendem Räucherwerk darum herum. Nicht nur das verbreitete einen betäubenden Duft, auch das Wasser enthielt einen stark duftenden Zusatz, der ihre Sinne verwirrte. Ihr wurde schwindelig.
Devlin stand aus dem Nichts neben ihr und stützte sie. Offenbar hatte er durch das Seelenband gefühlt, dass etwas mit ihr passierte. „Was geht hier vor?“ Seine Stimme klang scharf, und er funkelte Nalin drohend an.
„Ein Ritual, das Marlandra befähigen wird, ihr inneres Gleichgewicht zu erlangen“, erklärte der Naga. „Du kannst ihm gern beiwohnen, falls sie das erlaubt.“ Er sah Devlin mit einem unergründlichen Blick an. „Vielleicht tut dir eine zusätzliche Portion Gleichgewicht auch ganz gut.“ Er deutete einladend auf das Wasser.
„Hm, hm“, stimmte Bronwyn zu. „Bitte bleib.“ Sie fühlte sich körperlich müde und gleichzeitig geistig hellwach. Sie nahm Devlins Hände. „Ganz nah bei mir. Bitte.“
Er nickte nur und zog seine Kleidung aus. Bronwyn schälte sich aus ihrer und kletterte ins Wasser. Dessen Wärme hüllte sie ein und verursachte ein tiefes Wohlbefinden. Der Badezusatz prickelte auf ihrer Haut. Sie hatte das Gefühl, dass das Prickeln in ihren Körper eindrang. Sie fühlte, dass Devlin sich neben sie setzte. Nalin begann zu singen.
Schlagartig veränderte sich ihre Umgebung. Oder nur ihre Wahrnehmung. Um sie herum war es dunkel wie unmittelbar nach Einbruch der Nacht, wenn noch ein Hauch Restlicht des Tages existiert. Bronwyn hatte das Gefühl, in einer Höhle zu sein. Sie sah sich um, konnte aber nichts erkennen, denn die Wände, falls dieser Raum eine Begrenzung durch Wände hatte, schienen hinter dunklem Nebel verborgen zu sein.
Bronwyn spürte, dass jemand hinter ihr stand , und fuhr herum. Für einen Moment glaubte sie, in einen Spiegel zu sehen, denn die nackte Frau vor ihr war ihr exaktes Ebenbild bis hin zu dem Muttermal in Form eines Auges über dem Ke’tarr’ha-Sigill auf ihrer Brust.
„Hallo Schwester“, sagte ihr Gegenüber. „Es wurde höchste Zeit, dass wir uns mal unterhalten. Ich bin Marlandra. Aber das weißt du. Was soll der Scheiß, dass du mich permanent ablehnst und von dir stößt und dir wünschst, ich würde nicht existieren?“
Bronwyn wusste einen Moment nicht, was sie darauf antworten sollte. „Es fällt mir schwer, dich zu akzeptieren, weil das, was du tust, was du bist, einfach nicht gut ist.“
Marlandra lachte. „Das ist ein guter Witz. Nicht gut – ha! Du meinst so etwas wie das hier?“ Marlandra wurde zu einem kleinen Kind, das am Teich in Dunraven einen Frosch zu Tode quälte. „Oder das hier.“ Sie verprügelte mit ausgesprochenem Vergnügen und noch größerer Wut die Jungen und Mädchen in der Schule, die ihr dumm kamen, nachdem Jimmy Nolan brühwarm in allen Einzelheiten herumgetratscht hatte, dass er Bronwyn in sein Bett bekommen hatte und wie es mit ihr gewesen war.
Bronwyn spürte die Verletzung noch heute. Marlandra dagegen tobte ihren Hass auf Jimmy in einer Weise aus, wie Bronwyn es gern getan hätte: Sie zerfetzte ihm mit bloßen Händen das Gesicht und trat ihm so heftig in den Unterleib, dass er für den Rest seines Lebens impotent sein würde. Marlandra hatte auch nicht die geringsten Skrupel, sich an jedem Menschen zu rächen, der ihr in irgendeiner Form etwas angetan hatte, egal, wie unbedeutend das gewesen sein mochte. Zu guter Letzt sah Bronwyn, mit welchem zufriedenem Vergnügen Marlandra in Kolumbien die Schergen des Drogenbarons erschoss, die Bronwyn und das Expeditionsteam vor zehn Wochen durch den Dschungel gehetzt hatten, um sie alle zu töten, damit sie den Behörden nicht mitteilen konnten, wo sich dessen Kokaplantage befand, über die sie zufällig gestolpert waren.
Es hatte Bronwyn sehr zu schaffen gemacht, dass sie gezwungen gewesen war, Menschen zu töten, Notwehr oder nicht. Jetzt, wo sie Marlandras
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