Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
einer Art telekinetischer Begabung ausgestattet, aber dennoch einfach nur Lily Quinn.
Sie richtete den Blick wieder auf Tys außerordentlich hübschen Hintern und seufzte. Abblocken – leichter gesagt als getan. Sehr viel leichter.
Ty zupfte gerade noch einmal an dem Vorhang vorm Fenster herum, um das Tageslicht vollständig auszuschließen. Glücklicherweise war er so beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, wie aufmerksam sie ihn beobachtete. Er hatte die Steppdecke vom Bett genommen und provisorisch vor den Vorhängen befestigt, damit auch ja kein Lichtstrahl hereinfiel. Vor der Türritze lagen Kissen, und draußen am Türknauf hing das Bitte-nicht-stören-Schild.
Das Licht der einzigen Lampe, die das schäbige Zimmer ein wenig erhellte, war bereits stark gedimmt, und jetzt drehte er den Schalter ganz auf Aus, um den Raum endgültig in eine Höhle für den Tag zu verwandeln.
Lilys Herz geriet ins Stolpern, als es auf einmal stockfinster wurde. Sie blinzelte ein paarmal, aber ihre Augen waren solch eine Schwärze nicht gewohnt. Ihr Atem kam ihr plötzlich nervtötend laut vor. Ty dagegen machte nicht das geringste Geräusch.
Dann sank das Bett unter seinem Gewicht ein.
»Gib mir deine Hände, mo bhilis .«
Seine Stimme schien sanft über ihre Nerven zu gleiten, wie Fingernägel über Samt. Obwohl sie sich dagegen sträubte, nahm sie seine Gegenwart immer deutlicher wahr. Er roch nach Mondlicht, und dass er ihr so nah war, ließ ihre Haut erwartungsvoll kribbeln.
»Warum?«
»Damit ich sie zusammenbinden kann.«
»Du willst mir wieder die Hände zusammenbinden?«, fragte Lily und hoffte, dass sie sich nicht so verletzt anhörte, wie sie sich fühlte. Wie konnte er das tun? Gestern hatte sie es zwar gehasst, aber auch verstanden. Aber heute hatte er sich ihr doch ein bisschen geöffnet. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, in diesem ganzen Wahnsinn etwas mehr als nur eine Spielfigur zu sein. Und als Dank dafür, dass sie seine Freundlichkeit erwidert hatte, sollte sie jetzt wie eine Gefangene gefesselt werden?
»Das brauchst du diesmal nicht«, sagte sie mit Entschiedenheit. »Wenn ich irgendwas versuchen wollte, hätte ich das längst getan.«
»Gut zu wissen«, erwiderte Ty, aber seine Samtstimme war deutlich beruhigender als das, was er sagte. »Trotzdem denke ich, eine intelligente Frau wie du wird mir zustimmen, dass unter den gegebenen Umständen ein bisschen Vorsicht nicht schaden kann. Was mache ich zum Beispiel, wenn du auf einmal auf die Idee kommst, aufzustehen und einen Blick aus dem Fenster zu werfen, und schon gehe ich in Flammen auf? Oder du könntest beschließen, mich im Schlaf zu töten. Es sind schon seltsamere Dinge passiert.« Er klang aufreizend vernünftig.
»So bin ich nicht.«
»Ich kenne dich nicht«, erwiderte er, und jetzt mischte sich ein warnender Unterton in seine Stimme. Das hätte ihr eigentlich egal sein sollen. Was interessierte es sie, was dieses Wesen von ihr hielt? Und trotzdem machte ihr diese beiläufig geäußerte Bemerkung zu schaffen, diese Unterstellung, sie könne etwas Dummes oder Selbstmörderisches machen, wenn er sie nicht fesselte.
»Ich bin keine Idiotin«, erwiderte sie, und das kam schnippischer heraus, als sie beabsichtigt hatte. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich herausfinden will, was diese Tätowierung bedeutet. Außerdem – hatten wir nicht bereits geklärt, dass mir, wenn ich weglaufe, immer noch ein Mörder auf den Fersen ist? Und ich habe keine Holzpflöcke dabei. Ich bin doch nicht Buffy. Ich wäre sofort erledigt.«
Sie hörte ihn schnauben. Offensichtlich amüsierte ihn, was sie sagte. Dass er sie für komisch hielt, hob ihre Stimmung auch nicht gerade.
»Was ist los?«, fragte sie gereizt.
»Man kann uns nicht mit Pflöcken töten, Schätzchen. Dafür braucht man ein Messer. Glaubst du, du hast die Kraft, einem Mann den Kopf abzusäbeln?«
In ihrem freundlichsten Ton erwiderte sie: »Wenn du das unbedingt wissen möchtest, bin ich gern bereit, es auszuprobieren.«
Diesmal lachte er, und beim samtenen Klang dieses Lachens lief ihr ein wohliger Schauder über den Rücken. Es war lächerlich, so mit ihm herumzuplänkeln und ihn vorsätzlich anzustacheln. Wobei – die Information, wie man einen Vampir tötete, war zumindest nützlich, auch wenn sich ihr bei der Vorstellung der Magen umdrehte. Aber sie war stolz, dass sie Ty aus seiner Stimmung als kaltblütiger Vampirhäscher hatte herausreißen können, und noch stolzer, dass es sie
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