Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
wieder ein, dass er irgendetwas darüber gesagt hatte, wohin sie heute gehen dürfe.
»Dann werde ich heute also nicht gefesselt?«
Er schüttelte den Kopf. »Mir ist lieber, du bist nicht gefesselt, für den Fall, dass wir überraschend aufbrechen müssen. Hier sind wir nicht sicher. Du hast dir vermutlich schon gedacht, dass das Feuer gestern Abend etwas mit unserer Anwesenheit im Mabon zu tun hatte.«
Lily nickte. Sie musste an Anura denken und hoffte, dass es ihr gut ging. »Damien?« Sie sprach seinen Namen nur ungern aus, weil sie irgendwie fürchtete, er könne dann plötzlich aus dem Nichts auftauchen. Dass so etwas passieren könnte, schien ihr nach allem, was sie in letzter Zeit erlebt hatte, gar nicht so weit hergeholt.
»Das nehme ich an. Wir hatten kaum Zeit, mit Anura zu reden, aber ich bin sicher, genau darum ging es. Ich kann nur hoffen, dass sie ihm auf dem Weg nach draußen nicht begegnet ist. Ich habe oft gedacht, dass Rauch viel praktischer ist als Katzengestalt, aber das kann man sich nun mal nicht aussuchen. Auf jeden Fall müssen wir sehr vorsichtig sein, solange wir hier sind. Ich will nicht länger bleiben als unbedingt nötig, aber …« Stirnrunzelnd wandte er den Kopf ab.
»Aber?«, hakte sie nach.
»Da stimmt einiges nicht. Nichts ist so, wie es sein sollte.«
Es ging ihr nahe, wie verwirrt er klang. Seine Welt war ihr nicht vertraut, und was sie bisher davon gesehen hatte, hatte ihr nicht sonderlich gefallen. Aber er hatte lange in dieser Welt gelebt, und nun sah es so aus, als wäre sie im Begriff auseinanderzubrechen.
»Man hat mich wegen der Angriffe auf die Suche nach dir geschickt. Das ist doch ganz einfach, oder?« Sie war überrascht, dass er ihr antwortete, aber offensichtlich hatte er das Bedürfnis zu reden, und deshalb unterbrach sie ihn nicht, sondern nickte nur. Sie war sich sowieso nicht sicher, ob er wirklich mit ihr sprach oder nur laut dachte, um seine Gedanken zu sortieren.
»Andererseits war es ganz und gar nicht einfach. Fast ein Jahr lang habe ich die tiefste Provinz abgeklappert. Ich hatte gar keine Zeit, mich um den üblichen Dynastie-Mist zu kümmern. Ich finde dich, und du bist … nicht das, womit ich gerechnet hatte. Die Shades sind hinter uns her, und das verdanken wir denen, die die Ptolemy dezimieren wollen – wer auch immer das ist. Und jetzt finde ich nicht nur heraus, dass die gesamte Dynastie in Gefahr schwebt, sondern auch, dass sie alles dransetzt, bei den anderen ja kein Mitleid zu erwecken. Ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, warum die Ptolemy die Dracul dermaßen provozieren. Verdächtigen kann man sie schnell, aber ich hatte eigentlich den Eindruck gehabt, dass Arsinöe erst einen Beweis wollte, bevor sie einen blutigen Krieg anzettelt.«
Er stöhnte frustriert auf und verbarg das Gesicht in den Händen. Lily ließ sich durch den Kopf gehen, was er gesagt hatte. Einiges davon war ihr neu. Er hatte nie erwähnt, dass diese Dracul unter Verdacht standen, die Anstifter des Unheils zu sein.
»Man hat mich völlig ausgeschlossen«, fuhr er fort. »Und ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich dagegen tun soll.«
»Wieso die Dracul? Wieso sollten sie die Ptolemy angreifen?«
Ty fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Er sah müde aus. Bemitleidenswert müde. Lily versuchte, es zu ignorieren.
»Böses Blut, und das kocht schon vor sich hin, seit die Dracul beim Rat die Anerkennung als eigenständige Dynastie beantragt haben. Sie sind die jüngste Dynastie, und du kannst dir vielleicht vorstellen, wie selten überhaupt eine neue Abstammungslinie auftaucht. Vlad musste nachweisen, dass er der Erste war, der dieses Mal trug. Er schwört, dass es ihm von einer alten und eher finsteren Göttin gegeben wurde, was die Beweisführung nicht gerade leichter machte. Aber er hat es geschafft. Allerdings haben ihm die Führer der anderen Dynastien eine Menge Steine in den Weg gelegt. Die Dracul können sich nämlich in Fledermäuse verwandeln, verstehst du?« Er lächelte bitter. »Die einzigen Blaublute mit einer Tierform. Und auch noch die bekanntesten, was alle anderen ärgert. Sie wollten ihn nicht, egal was er tat. Aber Vlad ist raffiniert. Zu dem Zeitpunkt, als er den Antrag auf Anerkennung eingereicht hat, hatte er alles bereits bestens organisiert und eine Menge kräftige Leute um sich geschart. Er hat sich die Menschen, die er verwandelt hat, sorgfältig ausgesucht. Sie waren einfach zu viele. Der Rat konnte nicht Nein sagen.
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