Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
die Lippen zurückgezogen, dass die Zähne bloß lagen, über dem Kopf einen glitzernden gebogenen Dolch schwingend. Sie glitt hinter die rothaarige Frau, die die Augen geschlossen hatte, um ihre Kräfte für den Ausbruch zu sammeln, mit dem sie ihre Feinde in alle vier Winde verstreuen würde.
»Braut des Dämons! Hure! Du wirst uns alle mit deinem Wahnsinn zerstören!«
»Nein!«, kreischte Lily, als der Dolch niederfuhr und durch den langen elfenbeinfarbenen Hals schnitt.
Die Welt blitzte hellrot auf, Flammen loderten, und dann wurde alles schwarz, während Lily ihr eigener Schrei noch in den Ohren hallte. Ein Baby weinte. Eine Frau schrie einen Befehl, wobei es für Lily klang, als würde sie ihn nur aus weiter Entfernung hören.
»Sucht das Kind! Wo ist das Kind? Es muss getötet werden!«
»Spreng seine Ketten, befreie unser Blut« , flüsterte eine Stimme in Lilys Kopf. »Kein Haus kann allein existieren.« Dann wurde Lily davon wach, dass Ty sie schüttelte.
Sie schnappte nach Luft, selig, dass diese nicht nach dem Rauch aus ihrem Albtraum schmeckte. Ihre Lungen weiteten sich schmerzhaft, und ihr Körper bäumte sich auf, als würde er aus dem Wasser auftauchen.
Alles war bestens. Es war nur ein Traum gewesen. In gewisser Weise hatte es sich um die gleiche Szene gehandelt, deren Zeugin sie schon seit ihrer Kindheit regelmäßig geworden war. In manchen Punkten war sie diesmal allerdings völlig anders gewesen.
Noch nie zuvor hatte die Frau sie angesehen oder zu ihr gesprochen.
Über ihr in der Dunkelheit funkelten Tys Augen. Seine Hände hielten ihre Schultern fest umklammert.
»Lily, verdammt, alles in Ordnung? Wach auf!«
Sie versuchte, wieder ganz in die Wirklichkeit zurückzukehren. »Ja. Ja, ich bin hier.« Ihre Stimme klang rau. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder wusste, wo genau dieses »Hier« war. Dann, allmählich, fiel es ihr wieder ein. Der brennende Club. Die Fahrt in den besseren Teil der Stadt, die vor allem von dem unangenehmen Schweigen zwischen den beiden Männern geprägt gewesen war. Und dann waren sie hier eingetroffen, in einem Loft in einem umgebauten Lagerhaus, wo Jaden sich offenbar bereits länger aufgehalten hatte.
Jaden. Lily ließ den Blick durch das dunkle Zimmer wandern, aber Ty und sie schienen allein zu sein. Jaden wirkte auf eine Art verletzlich, die ihr an Ty noch nicht aufgefallen war, und obwohl sie Jaden erst so kurz kannte, machte sie sich Sorgen, wo er wohl steckte. Ty gegenüber war er die ganze Zeit ziemlich reserviert gewesen, aber ihr gegenüber hatte er sich sehr zuvorkommend verhalten. Er hatte ihr sogar etwas zu essen gemacht – leckere Nudeln mit einer Soße, die er noch im Kühlschrank gehabt hatte. Als sie ihn überrascht angesehen hatte, hatte er sie sogar zaghaft angelächelt und gesagt: »Wir brauchen zwar kein normales Essen, aber das heißt nicht, dass es uns nicht gelegentlich schmeckt. Ich habe immer sehr gern gekocht.«
Nach dem Essen war sie nicht nur pappsatt, sondern auch fix und fertig von der Aufregung und den plötzlichen Wendungen der letzten Stunden gewesen. Während Ty nach draußen gegangen war und Jaden die Küche aufgeräumt hatte, war sie eingedöst. Das Ledersofa war bequem, und die Wohnung mit ihren hohen Decken und dem sichtbaren Mauerwerk gemütlich und einladend – trotz all der seltsamen Geschehnisse dieses Abends.
Sie hatte noch darüber gebrütet, zu welchem Zweck Ty wohl die Wohnung verlassen hatte – und war sich aufgrund des bedeutungsvollen Blicks, den Jaden und Ty gewechselt hatten, ziemlich sicher, die Antwort zu kennen. Die Vorstellung, wie er seine Zähne in irgendeine x-beliebige Frau schlug, löste bei ihr eine Welle irrationaler und auch irgendwie gewalttätiger Gefühle aus, die sie lieber nicht genauer hatte erforschen wollen. Schließlich war sie von einer Sekunde auf die andere eingeschlafen.
Und dann – der Tempel, die Frau und das Feuer.
Und jetzt Ty und sie. Allem Anschein nach waren sie allein.
Die plötzliche Hitzewelle, die sie bei diesem Gedanken überlief, war ihr gar nicht recht, und sie konzentrierte sich schnell auf etwas anderes. Jemand hatte eine Decke über sie gebreitet, ihr Kopf ruhte auf einem Kissen, und das berührte sie ganz seltsam.
»Wie spät ist es?«, fragte sie, wobei ihr auffiel, dass Tys Hände noch immer auf ihren Schultern ruhten. Sie wusste, das hätte ihr eigentlich nicht gefallen dürfen, aber es war trotzdem tröstlich.
»Etwa drei Uhr in der Früh«,
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