Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
nichts führen konnte. Vielleicht wollte sie es, weil sie nur zu gut verstand, was es hieß, allein zu sein.
»Du schnurrst«, sagte sie lächelnd. Er versuchte, den Kopf wegzuziehen, aber sie hielt ihn fest. Dass sie die Kraft hatte, das zu tun, war ein erhebendes, aber auch düsteres Gefühl. Noch nie war ein Mann ihrer Gnade ausgeliefert gewesen, noch nie hatte sie die Führung übernommen. Aber etwas tief in ihr flüsterte ihr zu, dass sie das konnte, wenn sie nur den nötigen Mut aufbrachte.
»Ich habe noch nie einen Mann zum Schnurren gebracht«, fuhr sie fort. »Es gefällt mir.«
Ty versuchte nicht länger, den Kopf wegzuziehen, schmiegte ihn aber auch nicht mehr in ihre Hand. Er ließ einfach zu, dass sie sein Haar und sein Gesicht streichelte, dann schloss er die Augen und fing wieder an zu schnurren. Lily nahm an, dass das eine Reaktion war, die er nicht beherrschen konnte. Und es war das erotischste Geräusch, das sie je von einem Mann gehört hatte.
»Wir sollten das nicht tun«, sagte er. Seine Stimme klang rau.
»Das hat dich gestern doch auch nicht abgehalten«, erwiderte Lily und glitt mit dem Daumen über seinen Mund, der sie so unwiderstehlich anzog. Seine Lippen waren weich, und sie musste daran denken, wie sie sich angefühlt hatten, als er sie auf ihre gepresst hatte. Überrascht schnappte sie nach Luft, als Ty den Mund öffnete, ihren Daumen einsog und sanft mit der Zunge darüberfuhr. Jetzt hatte er die Augen geöffnet und wandte den Blick nicht eine Sekunde von ihr ab. Lily war sich sicher, dass ihm nicht entging, wie sie errötete und wie ihr der Atem stockte. In ihrem Unterleib bildete sich ein angenehmer kleiner Knoten, der winzige Schockwellen durch ihren gesamten Körper sandte.
Ty gab ihrer Fingerkuppe einen zärtlichen Kuss. »Pass auf, worauf du dich da gerade einlässt, Lily. Es ist spät, und ich bin zu müde, um dir vorzuspielen, dass ich nicht gern ein bisschen von dir naschen würde.«
Lily fühlte sich, als wäre sie jemand anders, jemand mit deutlich mehr Selbstvertrauen, als sie selbst je besessen hatte. Sie konnte es kaum fassen, als sie sich sagen hörte: »Und wenn ich nun gar nicht will, dass du mir was vorspielst?«
Seine Augen funkelten, aber das machte ihr keine Angst mehr. Wahrscheinlich hätte es das tun sollen, aber sie wusste instinktiv, dass Ty ihr niemals absichtlich wehtun würde. So war er einfach nicht. Zweifellos hatte er Dinge getan, die ihr das Blut in den Adern gefrieren lassen würden. Aber in diesem Vampir steckte immer noch ein Mann, ein Mann mit einem Herz, auch wenn das außer ihr offensichtlich niemand bemerkte.
Niemand bemerken wollte.
»Du verstehst mich nicht«, sagte er. »Als ich vorhin gesehen habe, wie dieser verdammte Dracul dich überall betatscht hat, da hätte ich ihm beinahe den Kopf abgerissen, Lily. Es ist nicht normal, wie sehr ich dich begehre.«
»Oh«, murmelte sie lächelnd und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. »Abweichendes Verhalten. Red weiter.«
Stattdessen packte er ihre Hände und zog sie weg. Sein Gesichtsausdruck war bitterernst, obwohl die Sehnsucht in seinen Augen nicht zu übersehen war.
»Es ist nicht normal, Lily. Schon letztes Mal habe ich es kaum geschafft, dir nicht die Zähne in den Hals zu schlagen, und wenn ich das täte, wäre alles zu Ende. Aber dein Blut, dein Geruch … Ich kann nicht mehr vernünftig denken. Du hast keine Ahnung, was ich am liebsten mit dir anstellen würde. Und zwar schon seit dem ersten Abend dort bei der Villa.«
Furchtlos erwiderte sie seinen Blick. »Vermutlich das Gleiche, was ich gern mit dir anstellen würde. Du bist nicht der Einzige, der diese Anziehungskraft spürt, Ty. Ich weiß auch nicht, was das ist. Ich bin zwar kein Vampir, habe aber trotzdem Lust, meine Zähne in deinen Hals zu versenken.«
Ty stöhnte. »Ich habe dir nichts zu bieten, Lily. Und du würdest wohl kaum verstehen können, welche Ketten mich binden. Egal was passiert, ich muss zurück zu Arsinöe.«
»Willst du das denn?«
»Es spielt keine Rolle, was ich will. Das hat es noch nie.«
Lily betrachtete ihn lange. Sie wusste, dass er recht hatte, dass er sie nicht anlog. Es wäre sinnlos, und nichts würde sich ändern. Dennoch – ihr ganzes Leben lang hatte sie immer alles weggeschoben, und jetzt wollte sie sich einmal nehmen, was sie begehrte, und zwar sofort, bevor sie es durch ewiges Überlegen ruinierte. Vielleicht war es sogar besser, dass es nicht von Dauer sein konnte. Dann würde sie
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