Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
beschließt, ich dürfte gar nicht existieren? Oder wenn sie mich genauso versklavt wie …« Das »dich« konnte sie gerade noch verschlucken.
In dem Blick, mit dem er sie betrachtete, lag eine Spur von Bedauern. Dieses Bedauern – und das, was es beinhaltete – ängstigte sie beinahe mehr als alles, was sie durchgemacht hatte, seit er ihr über den Weg gelaufen war.
»Bei uns Vampiren gibt es ein Sprichwort«, sagte er leise. »Blut ist Schicksal. Dein Blut, Lily, hat dich hierhergebracht. Und zu mir. Daran glaube ich. Und solange du in meiner Obhut bist, werde ich dich beschützen. Davon abgesehen wird dein Blut dich dorthin führen, wohin zu gehen dir vorbestimmt ist. Und es wird dich wieder nach Hause führen. Wenigstens daran musst du glauben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an Schicksal, Ty. Ich habe mir meinen Weg selbst gesucht. Und du hast das doch auch getan, oder? Dir stand doch nicht mal zu, eine Königin auch nur anzuschauen, geschweige denn, von einer so geschätzt zu werden. Aber genau das hast du erreicht. Du, nicht irgendein wirres Blutschicksal.«
Er gab ein freudloses Kichern von sich und sah sie aus stumpfen Augen an. Es war der Blick eines Manns, der über Jahre hinweg zermürbt worden war, bis ihm schließlich nicht mehr die geringste Hoffnung blieb. Sie hasste diesen Blick. Und wie würde er erst sein, wenn weitere hundert Jahre vergangen waren? Vielleicht so kalt wie Damien, so völlig gefühllos?
Aber Ty war anders. Außerdem war er so entsetzlich allein.
»Wer beschützt dich?«, fragte sie. Überrascht sah er sie an.
»Ich werde mir Mühe geben, diese Frage nicht als Beleidigung aufzufassen. Schließlich kann ich selbst auf mich aufpassen.«
Lily seufzte und versuchte es noch einmal. »Was ich sagen will: Du scheinst eine Menge Verantwortung zu tragen. Du musst auf mich aufpassen, was, wie ich weiß, schwieriger ist, als du gedacht hattest. Aber wer tritt für dich ein, Ty? Würden die Ptolemy hinter dir stehen, wenn du sie bräuchtest? Wer hält dir den Rücken frei?«
»Ich …« Er sprach nicht weiter. Offensichtlich wusste er nicht recht, was er sagen sollte.
Für Lily war das Antwort genug. Sie wollte ihm sagen, dass sie ihn verstand, dass sie wusste, wie es war, allein durchs Leben zu gehen und sich nur auf sich selbst verlassen zu können. Allerdings konnte sie nicht verstehen, wie er es aushielt, nicht viel mehr als ein Sklave zu sein, egal wie er selbst seine Stellung bezeichnen würde. Ty behauptete, diese Königin habe ihn gerettet. Aber wovor? Was konnte schlimmer sein als dies hier?
Blut und Schicksal. Sie fand es schockierend, dass so etwas Banales wie ein Mal alles bestimmen sollte. Sie strich über ihr eigenes Mal, das unleugbar kribbelte und brannte. Dann dachte sie an den Traum und an jenen seltsamen Moment, in dem sie sich Anura so verbunden gefühlt hatte. Plötzlich fragte sie sich, ob sie überhaupt in irgendeinem Punkt die Wahl hatte, jemals gehabt hatte. Aber nein … sie weigerte sich zu glauben, sie sei völlig machtlos.
Ty wirkte ganz und gar verloren, wie er da im Dunkeln saß. Es waren zwei lange Nächte gewesen. Ihre Welt war völlig auf den Kopf gestellt worden, aber seine offensichtlich ebenfalls. Er tat ihr leid, und sie war zu erschöpft, um sich gegen dieses Gefühl zu wehren.
Es war vielleicht nicht die übliche gehirnwäschenähnliche Anziehung, aber wenn er bei ihr war, schien er immer etwas in ihr zu berühren.
Obwohl sie wusste, dass sie es später bereuen würde, gab sie diesem Gefühl nach.
14
Lily strich Ty über die Wange und staunte, wie kühl sich seine Haut anfühlte. Ty schloss die Augen und presste das Gesicht gegen ihre Handfläche, aber sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Genuss und Schmerz.
»Lass das lieber«, murmelte er.
Als wenn ich das nicht selbst wüsste , dachte Lily. Aber sie nahm die Hand nicht weg, sondern strich ihm sanft durch das Haar. Es war weich und samtig, und so gab sie dem Bedürfnis nach, auch mit der anderen Hand hindurchzufahren. Er legte den Kopf ganz leicht in den Nacken, und kurz darauf drang ein leises Summen an ihr Ohr, das sie zunächst nicht recht einordnen konnte. Als sie endlich kapierte, was es war, musste sie kichern, und sofort riss er die Augen auf und schaute sie misstrauisch an. Selbst jetzt war sein erster Gedanke, dass sie sich über ihn lustig machte. Er vertraute ihr nicht … vertraute vermutlich niemandem. Sie hätte das gern geändert, auch wenn es zu
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