Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
sie nicht an sich heranlassen. Welch Ironie, dass er der einzige Mann war, bei dem sie je das Gefühl gehabt hatte, ihm nahekommen zu wollen.
Ty stand auf und zog sich ein T-Shirt über. Dann ging er barfuß zur Tür, drehte sich dort aber noch einmal zu Lily um. In diesem Moment sah er atemberaubend schön aus. Und er sah aus, als würde er sie verlassen.
An irgendeinem Punkt würde er das tatsächlich tun. Damit musste sie fertig werden.
»Bist du so weit?«, fragte er.
Lily nickte. Aber innerlich sehnte sie sich nach dem, was niemals sein konnte. Ty hatte der Liebe abgeschworen. Und die Mauern, die er um sein Herz errichtet hatte, würde sie nicht niederreißen können, auch nicht mit übersinnlichen Kräften.
18
Was für ein hässliches Gebäude , dachte Ty, als sie die schmutzige, abgetretene Treppe hinuntergingen, die so schmal war, dass er fast schon Platzangst bekam. Dennoch war das Sichere Haus einfach genial.
Es stand an einer Straße mit heruntergekommenen Reihenhäusern, vor denen Autowracks abgestellt waren und wo sich in den Abflussrinnen der Abfall sammelte. Eine Straßenecke weiter waren mehrere Abbruchhäuser, und dort gab es auch jede Menge Kriminelle. In diese Gegend wagte sich niemand, dem sein Geld oder sein Leben etwas wert waren, außer er gehörte zu den Unsterblichen. Ty musste zugeben, dass Rogan ein Meister seines Fachs war. Er verbarg Flüchtlinge und schleuste sie weiter, und daneben machte er – aus Spaß oder wegen des Profits – noch das ein oder andere Illegale. Die Konstruktion dieses speziellen Sicheren Hauses war zweifellos perfekt: Von außen sah es aus wie eine Reihenhaussiedlung, aber innen erstreckte sich ein Labyrinth von miteinander verbundenen Zimmern und Fluren über den gesamten Block. In das Haus hineinzugelangen, war für den gelegentlichen Besucher nicht schwierig, aber nur der Besitzer selbst kannte sich im gesamten Komplex aus. Und Rogan teilte sein Wissen um die irrgartenartige Anlage mit niemandem, was, wie Ty fand, ganz der Geschäftsphilosophie seines alten Bekannten entsprach: »Wenn es hart auf hart kommt, ist jeder auf sich selbst gestellt.«
Ty vertraute ihm nicht. Das hatte er nie getan und würde es auch nie tun. Aber heute Abend brauchte er ihn.
Das würde dem alten Mistkerl einen Riesenspaß machen.
Hinter sich hörte Ty Lilys Schritte auf der knarrenden Treppe. Mehr noch, er hörte jeden ihrer Atemzüge und spürte jeden Schlag ihres menschlichen Herzens.
Ihre Geschichte war seiner sehr ähnlich, allerdings würde sie das nie erfahren. Wenn er ihr davon erzählen wollte, würde er sich ernsthaft öffnen müssen, und er hatte sich geschworen, das niemals wieder zu tun. Am Ende würde sie nichts von ihm wissen, außer dass er ein Cait Sith war und die Gefühle, die sie an ihn verschwendet hatte, nicht wert war.
So war nun mal das Leben der Unterschichtvampire, die ihren Meistern dienten.
Am Fuß der Treppe, von der aus man in einen langen Gang trat, blieb Ty stehen. Das Licht der Kerzen in den Wandleuchtern fiel auf verblichene, abblätternde Tapeten. Die meisten Zimmer waren dunkel, aber eins weiter hinten im Flur war von vielen Kerzen erhellt. Heiseres Lachen klang ihnen entgegen, und Ty wappnete sich für das, was auf ihn zukam.
Seit ihrer letzten Begegnung waren hundert Jahre vergangen, und noch länger lag es zurück, dass Ty verkündet hatte, er wolle lieber in einer angesehenen Dynastie dienen, als sein eigener Herr zu sein, sich dabei aber kaum über Wasser halten zu können. Er bezweifelte, dass Rogan ihn das vergessen lassen würde.
Ty drehte den Kopf, um Lily anzusehen, die ein Stück hinter ihm stand und mit auf die Seite gelegtem Kopf intensiv lauschte. Ihr Haar glänzte in dem gedämpften Licht, und ihre Haut wirkte fast schon durchsichtig. Als sie seinen Blick erwiderte, tanzten in ihren Augen winzige Lichter.
Meine Güte, wie schön sie war!
Aber dafür gab es schließlich auch einen Grund. Sie hatte ein Mal, das die Grundfesten des Regelwerks der Dynastien zu erschüttern drohte, jedenfalls wenn es wirklich das der Mutter war. Sie war ein Mensch, das schon, aber in ihren Adern floss adeliges Blut.
Ihre bloße Existenz würde einen Aufstand verursachen, falls man sie am Leben ließ. Und so wie Ty Lily in dem Kampf mit Ludo erlebt hatte, konnte er sich immer weniger vorstellen, dass Arsinöe das zulassen würde.
Sein Blick wanderte zu ihrem Hals hinab, und es versetzte ihm einen durchaus angenehmen Schock, dass sie seinen
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