Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
aber genauso übernatürlich gut aussehend wie offensichtlich alle Vampire. Sein Haar war dunkelbraun und lockig, seine Gesichtszüge waren beinahe schon elfenhaft, seine riesigen, dunklen Augen leicht mandelförmig. Er sah aus, als wäre er einem Märchen entsprungen, vielleicht ein schelmischer Geist oder ein nicht so recht einschätzbares Mitglied der Feengesellschaft. Es war irritierend. Andererseits hatte Lily rasch gelernt, dass das Äußere von Vampiren nichts zu bedeuten hatte. Sie waren alle wunderschön, jeder auf seine Weise.
Man konnte sie nur nach ihren Taten beurteilen. Aber dafür brauchte man ein bisschen mehr Zeit.
So, wie sich die wenigen Leute im Zimmer aufführten, nahm Lily an, dass in Rogans Flasche mehr als nur Blut war. Das Gelächter war ein klein wenig zu laut und zu ausgelassen, außerdem glänzten ihre Augen im Licht der Kerzen rötlich, und diese Farbe hatten Tys Augen noch nie angenommen. Sie hörte, wie er leise fluchte.
»Vorsicht«, murmelte er. »Sie sind hungrig. Der Alkohol macht es nur noch schlimmer.«
Obwohl Lily vage wahrnahm, dass auch noch andere Leute im Zimmer waren, galt ihre ganze Aufmerksamkeit sofort den beiden Männern rechts und links von Rogan. Der eine war außerordentlich groß, das weiße Haar hatte er zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden, was sein wunderschön geschnittenes Gesicht betonte. Er sah atemberaubend gut aus, aber kalt, wie eine Marmorstatue, die irgendwie zum Leben erwacht und aus einem Museum entflohen war und jetzt ziemlich mies drauf war, weil sie so lange hatte still stehen müssen. Der andere Vampir war das genaue Gegenteil, schlank und dunkel, kaffeebraune Haut, das widerspenstige Haar schwarz wie Ebenholz, unter den lebhaften, faszinierenden Augen dunkle Schatten.
Beide drehten sich um, als Ty und sie eintraten, und hörten abrupt auf zu lachen. Lily ließ den Blick rasch durch das Zimmer schweifen: hässliche Holzverkleidung an den Wänden, verblichene und abgenutzte Möbelstücke, die aussahen, als hätte man sie vom Sperrmüll aufgeklaubt. Jaden stand in der hintersten Ecke und verschmolz fast schon mit der Wand. Lily versuchte, ihm ermutigend zuzulächeln. Bei ihm hatte sie immer das Gefühl, er könne gar nicht genügend Zuwendung bekommen. Doch Jaden hatte nur Augen für eine Person, die ebenfalls versuchte, möglichst wenig aufzufallen, statt sich mit den anderen zu amüsieren.
Lily folgte Jadens Blick und entdeckte zu ihrer Überraschung eine Frau, die lässig in einem dick gepolsterten Sessel mit Blumenmuster saß und so leise war wie die anderen laut. Ihr Haar hatte die Farbe dunkler Schokolade, durch die sich Strähnen hellen Platinblonds zogen. Der Blick ihrer leuchtend goldenen Augen war aufmerksam auf Lily gerichtet. Sie war lange nicht so betrunken wie die anderen, wenn überhaupt, das sah Lily sofort. Davon abgesehen war irgendetwas an ihr anders, aber Lily hätte es nicht benennen können. Und das Misstrauen in den Augen der Frau machte sie nervös.
Allerdings nicht so sehr wie der Mann im Mittelpunkt des Geschehens. Rogan, das war ihr sofort klar, war stocknüchtern, und seine ausgefahrenen Fangzähne zeigten, dass er mordsmäßig hungrig war. Sein Lächeln wirkte, als wolle er im nächsten Moment zubeißen.
»Tynan, da bist du ja«, sagte er in einem Ton, als würde ihn irgendetwas ganz außerordentlich freuen. »Das habe ich mir doch immer gedacht, dass du deine Worte noch mal bereuen würdest. Wolltest du nicht erst dann zu mir zurückgekrochen kommen, wenn das Ende der Welt naht, die Hölle zufriert und dir die vier apokalyptischen Reiter auf den Fersen sind?«
Ty zog eine Augenbraue in die Höhe. »Warst du heute Nacht noch nicht draußen?«
Rogan lachte laut auf, und Lily fand sein Lachen überraschend ansteckend. Er stand auf und ging auf Ty zu, ohne sich auch nur im Geringsten davon einschüchtern zu lassen, dass er fast dreißig Zentimeter kleiner war als dieser. Er gab Ty die Hand und klopfte ihm dann auf den Arm.
»Immer noch derselbe Klugscheißer. Trotzdem, schön, dich zu sehen. Noch lieber würde ich allerdings ein bisschen von der Ptolemy-Knete sehen, die dir zweifellos die Taschen ausbeult. Du Glückspilz! Wie läuft’s denn so im Land der Mächtigen und Schönen?«
Dann richtete er den Blick auf Lily, und sie spürte, wie er sofort berechnete, wie viel sie wohl wert sein mochte. »Gentlemen, darf ich euch meinen alten Freund Tynan MacGillivray vorstellen, gebürtig aus Edinburgh, seit
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