Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
»Du warst doch dort, du hast doch gesehen, was sie getan haben! Das ganze verdammte Rudel hat ihr den Rücken zugekehrt. Und jetzt wollen sie sie zurück, weil ihnen die Alternative nicht gefällt? Sie haben sie nicht verdient. Sie verdienen genau das, was sie bekommen haben.«
»Jaden.« Besänftigend legte ihm Lyra die Hand auf den Arm. »Ich habe gegen ein Rudelgesetz verstoßen. Und zwar gegen ein sehr altes und sehr wichtiges. Es tut mir nicht leid, dass ich das getan habe, aber … hattest du wirklich erwartet, dass sie sich gegen dieses Gesetz auflehnen würden? Sich ihrem Alphatier widersetzen würden? So sind die Wolfsrudel nun mal organisiert: starker Führer, treue Untertanen. Und bei den Thorn: strikte Einhaltung der Regeln.«
»Sag mir jetzt nicht, dass dir das nicht wehgetan hat«, widersprach Jaden. »Und hör auf, Entschuldigungen für sie zu finden. Ich verstehe die kulturellen Unterschiede durchaus, Lyra, aber man hat dich vertrieben, und nicht ein Einziger hat sich für dich eingesetzt. Sie haben kein Recht, dich zu bitten, dass du zurückkommst und für sie die Kastanien aus dem Feuer holst!«
»Vielleicht nicht, aber sie ist die einzige Chance, die wir noch haben«, sagte Simon. »Und wenn Eric das Gift wirklich von den Ptolemy bekommen hat, dann hat der Ärger vermutlich gerade erst richtig angefangen. Willst du ein ganzes Rudel verurteilen, nur aus verletzten Gefühlen heraus?«
Simons kalter, gefühlloser Ton überraschte Lyra genauso wie Jadens rasende Wut.
Mit gebleckten Zähnen und ausgefahrenen Fängen umrundete er Simon.
»Du machst es dir leicht, stellst dich einfach hierhin und bittest sie um so etwas! Du hast nicht miterlebt, was die Vertreibung ihr angetan hat. Du hast nicht hier gesessen und hast dir Sorgen gemacht, dass sie für den Rest ihres Lebens ein Zombie bleibt. Und daran trägt jeder Einzelne aus deinem Rudel die Schuld, und Dorien noch mehr als die anderen. Lyra ist seine einzige Tochter. Sie hätte ihm mehr wert sein sollen. Und hätte er nach ihr gesucht, wenn alles beim Alten geblieben wäre?«
»Das geht nur Lyra und ihn was an«, gab Simon zurück. »Dazu würde er bestimmt gern was sagen, falls er jemals wieder zu Bewusstsein kommt.«
»Wag es ja nicht, das herunterzuspielen«, knurrte Jaden und trat näher auf Simon zu. »Das ist Lyras Leben.«
»Da hast du recht. Und soweit mir bekannt ist, hast du darüber nicht zu entscheiden.« Simon reagierte zunehmend gereizter, und Lyra fürchtete, dass es in Kürze zu Handgreiflichkeiten kommen würde. Beide Männer hatten in letzter Zeit zu viel durchmachen müssen. Und beide wollten sie Unterschiedliches von ihr, und sie wusste nicht, wie sie das miteinander in Einklang bringen sollte.
Lyra seufzte. Die Erschöpfung und die Depression, aus denen sie gerade erst aufgewacht war, drohten zurückzukehren und sich wie ein alter Mantel um sie zu legen.
»Hört auf«, sagte sie. »Hört auf, euch wegen mir zu streiten. Ich muss da erst mal gründlich drüber nachdenken. Was bedeutet, dass vorläufig keiner von euch beiden zufrieden sein wird.« Sie richtete den Blick auf Jaden, der ihr seine Aufmerksamkeit mit einem warnenden Glitzern in den Augen wieder zuwandte. Es war verblüffend, wie rasch ihn seine ruhige Kraft angesichts ihres alten Lebens verlassen hatte. Sie wusste, er fühlte sich bedroht. Aber im Moment hatte sie andere Sorgen, als sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen.
»Ich möchte zu meinem Vater«, sagte sie.
Jaden nickte, wirkte allerdings nicht begeistert. »Ich komme mit.«
Lyra schüttelte den Kopf. »Ich muss mit ihm allein sein.«
Sie sah, wie verletzt er war, und es tat ihr leid, ihm das antun zu müssen. Aber für das, was sie ihrem Vater sagen wollte, für den Fall, dass er nie wieder aufwachen sollte, musste sie mit ihm allein sein. Das sollte niemand anders hören.
»Simon, ich zeige dir, wo du heute Nacht schlafen kannst«, nahm Lily die Dinge in die Hand und führte Simon fort. »Du siehst erschöpft aus.« Er nahm ihr Angebot dankend an, warf jedoch noch einmal einen fragenden Blick über die Schulter zu Lyra.
»Wenn du reden willst … ich bleibe wach.«
»Genau wie ich«, sagte Jaden. Trotz seiner Wut, die Lyra deutlich spüren konnte, beugte er sich zu ihr und küsste sie sanft auf die Lippen. Dann drehte er sich um und ging in die Richtung, in der Ty kurz zuvor verschwunden war. Der Kuss hatte ihr Rückhalt geben sollen … und den Anwesenden die Besitzverhältnisse
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