Erben des Mondes - Grimoire lunaris
deiner Familie sowie deine Freunde ebenso zu behandeln.“ Sie atmete rasch ein, ihr Ausdruck änderte sich zu Empörung, von Zweifeln begleitet. „Das können wir nicht tun! Wie konnten wir überhaupt an so etwas denken? Gute Eltern oder nicht, es ist deine Familie. Wir können sie doch nicht alle töten!“ Sie schüttelte den Kopf, als könne sie so ihre Gedanken abschütteln.
„Nennst du das etwa Familie?“ Ich berührte mit meiner rechten Hand die Stelle mit der schwarzen Feder auf ihrer Wange und mit meiner linken Hand mein eigenes Brandmal. „Du magst es vielleicht nicht sehen können. Aber ich werde jedes Mal, wenn ich dich ansehe an die Grausamkeit und Kaltherzigkeit meines Vaters erinnert. Er will meinen Tod – egal durch wen. Also wieso sollte ich ihm dies nicht vergelten? Er hat mich so lange mit falschen Mitteln bei sich gehalten. Rückblickend sehe ich, dass ich es gespürt aber ignoriert habe. Er hat mich manipuliert und meine Mutter stand tatenlos dabei. Ich fühle mich auch von ihr verraten. Das ist für mich nicht die Beschreibung einer Familie.“ Ich konnte die aufflammende Wut nichtmehr zurückhalten. Meine Finger brannten bereits. Sie wollten die Wut, das mächtigste Gefühl der dunklen Magie, auskosten, verwenden, damit Schaden anrichten. Mein Körper war es so gewohnt. Im Training nutzen wir immer die Wut, um unsere Zauber oder Flüche zu verstärken.
Aber ich war nicht mehr auf der dunklen Seite. Ich war keiner mehr von ihnen. Kein Sklave der Wut mehr. Langsam, ganz langsam atmete ich ein. Mit der frischen Luft in meiner Lunge wich die Wut. Das Brennen erlosch. Ich musste lächeln, so Stolz war ich darauf, dieses Gefühl nicht genutzt, sondern verbannt zu haben.
Wieder erhielt ich fragende Blicke. „Ich habe deine Wut gesehen. Sie überkam dich wie eine Welle aus Blut. Bevor sie dich verschlingen konnte, ist sie aber wie durch Zauberhand gebrochen, als wäre sie auf ein Riff gelaufen. Das war faszinierend.“ Sie schenkte mir ihr strahlendstes Lächeln. Dann fuhr sie in ihrem Prophetinnen-Ton fort: „Das war die nächste Entscheidung, bei der du die richtige Wahl getroffen hast. Du weißt doch noch, was Aurelia gesagt hatte?“
Sah ich da etwa einen Vorwurf in ihren Augen? Ich nickte schnell, konnte mich aber erst im nächsten Moment an Aurelias Worte erinnern. Vic hatte recht. Ich entfernte mich immer weiter von meinem alten Leben. Und dies sorgte für ein wohliges Gefühl in meinem Inneren, trotz der Aussicht auf einen bösen Kampf und der düsteren Zukunft, die mir prophezeit wurde. Ich drückte fest Victorias Hand und sandte ihr all die positiven Emotionen, die mich durchfluteten. Sie seufzte kurz auf und drücktemeine Hand zurück. Dann saßen wir einfach nur so da. Ich wollte nicht mehr wissen, wer oder was zu meinem Tod führen würde. Ich wollte ebenfalls nicht in der Zukunft leben, sondern die Gegenwart genießen. Und so ließ ich alles Düstere in meinem Inneren los.
Wir saßen lange so da und verfolgten einen Sonnenuntergang nach dem anderen. Wer sich wohl diese romantische Stimmung für uns gewünscht hatte? Egal.
Nach einer schieren Unendlichkeit räusperte sich Lenja hinter uns. Völlig verwirrt drehte ich mich um. Ich hatte gar nicht mehr an unsere Schatten gedacht.
„Es wird Zeit, Darian, die Limousine fährt in einer halben Stunde los.“ Willkommen Realität. Ich rappelte mich auf und meine Beine kribbelten, so lange waren sie regungslos in einer Position verharrt. Sobald ich mir sicher war, dass sie nicht einknicken würden, reichte ich Vic die Hand und zog sie zu mir nach oben. „Ich werde dich vermissen“, flüsterte ich ihr zu.
„Ich dich mehr!“, antwortete sie sofort. „Schließlich muss ich die Zeit hier bis um acht alleine totschlagen.“ Sie sah mich gespielt vorwurfsvoll an.
„Wie wäre es, wenn du mal an mich denken würdest.“
„Das tue ich ständig.“
„So meine ich das nicht. Ich muss mich mit Elric herumschlagen. Deinem ach so tollen, ach so zauberhaften Stellvertreter.“ Ich konnte mir einen spöttischen Ton nicht verkneifen.
Vic sah mir tief in die Augen und rief dann beinahe empört „Nein!“.
„Was nein?“
„Sehe ich da etwa Eifersucht? Das ist doch nicht dein Ernst?“
Ich schüttelte automatisch den Kopf und hatte schon auf den Lippen, dass sie da etwas falsch gesehen haben muss. Doch ich schluckte es hinunter. Weil mir in genau dem Moment bewusst wurde, wie Recht sie hatte. Ich dachte immer, dass mich der Typ
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