Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
bei Ihnen in Ordnung?«, fragte Rachel schließlich.
»Mit Sicherheit. Er weiß, dass ich nie an seine Sachen gehe, und er weiß nicht, dass ich mitkriege, was sie reden. Für ihn sind alle Frauen saublöd. Nun, ich bin es nicht. Die ganze Zeit kommen irgendwelche Kerle hierher und machen Geschäfte. Alles Scheißtypen.« Sie lachte ein wenig, als sei sie zufrieden mit sich, weil sie die Scheißtypen hereinlegte. »Uri wird nie wissen, wer den Pass genommen hat.«
»Seien Sie vorsichtig. Uri ist bösartig.«
»Ich weiß.«
»Was kann ich noch sagen? Ich stehe in Ihrer Schuld, das ist sicher.«
»Kein Problem.«
»Gut, Sie haben meine Nummer. Wenn Sie meine Hilfe brauchen, werde ich alles tun, was ich kann.«
»Warten Sie, da ist noch etwas«, schob das Mädchen eilig nach.
»Was?« Rachel wollte nichts mehr hören. Herr im Himmel, es reichte doch wohl.
»Uri mag keine Hunde. Tut mir leid. Ich hab alles getan, um das Tier zu retten.«
»O Gott …«
»Bitte, sagen Sie es nicht dem Kleinen.«
Gegen fünf Uhr schreckte Rachel hoch. Sie saß senkrecht im Bett. Der Anruf Tatjanas hatte eine solche Angst in ihr ausgelöst, dass sie die ganze Nacht nicht richtig geschlafen hatte. Sie stand auf, zog kurze Hosen und ein Hemd an und ging nach unten. Es sah nach wie vor chaotisch aus, überall lagen Tapetenreste herum, aber Charlene hatte versprochen, ihr am Nachmittag beim Aufräumen zu helfen. Es war ein guter Anlass herauszufinden, wie es tatsächlich um ihren Arbeitswillen bestellt war.
Rachel machte sich eine Tasse Tee und blickte vom Wohnzimmerfenster aus über die Dächer hinunter auf Bath. Die Stadt mit ihren vielen spitzen Kirchtürmen und geschwungenen, von prächtigen Häusern gesäumten Straßen lag an die Schleife des Flusses geschmiegt. Gleich dahinter, zum Greifen nahe, erstreckten sich üppig grüne Wiesen, auf denen Kühe und Schafe weideten. Ein ganz anderer Anblick als das dunstige London mit seinem unendlichen Häusermeer!
London! Anton! Was würde passieren, wenn der Pass verschwunden war? Sie versuchte, sich Uris Reaktion auszumalen. Würde er die junge Frau, wahrscheinlich seine derzeitige Freundin, verdächtigen? Wenn das Mädchen weder den Mut noch die Lust hatte, ihr Versprechen zu erfüllen, würde sie, Rachel, sich damit abfinden müssen. Aber wenn sie es tatsächlich wagte … unvorstellbar, was geschehen würde, wenn Uri sie erwischte.
Rachel öffnete die Tür zum Garten, setzte sich auf die Stufe und zündete sich eine Zigarette an. Sie versuchte, nicht an Uri zu denken, während sie ihren Tee trank und rauchte. Diesen ruhigen Augenblick am frühen Morgen genoss sie normalerweise sehr. Stress und Angst würden sie früh genug einholen. Doch wie sehr sie sich auch bemühte, ihre Gedanken kreisten einzig und allein um das eine Thema.
Ein Pass konnte nur eines bedeuten: Ausland. Von einem Urlaub war nicht die Rede gewesen, das stand fest. Bei jedem neuen Gedanken inhalierte sie tief das betäubende Nikotin, bis ihr schwindlig war. Was kam da auf sie zu? Was würde als Nächstes geschehen? Vielleicht ja gar nichts – aber das war reines Wunschdenken. Der Gedanke an Flucht stieg in ihr hoch und ließ sich nicht verdrängen, aus schierer Angst wollte sie Sascha packen und verschwinden, auch wenn sie entschlossen gewesen war, ihr Zuhause nie zu verlassen.
Sascha kam mit stumpfem Blick die Treppe herunter. Die Beine seiner Schlafanzughose schleiften auf dem Boden. Er setzte sich zu ihr an den Küchentisch und aß wortlos Cornflakes und Toast.
»Mach dich fertig, Junge. Zieh dich an. Sonst kommst du zu spät.«
Sascha rührte sich nicht, die Teetasse in der Hand.
»Komm, mein Schatz. Mach dich fertig.«
»Ich hasse die Schule. Miss Bailey ist eine alte Schachtel. Sie mag mich nicht.«
»Kein Wunder, du hast Mr Bodell die Zunge rausgestreckt. Nun musst du ganz besonders brav sein, damit deine Lehrer vergessen, dass du dich danebenbenommen hast.«
Anton, der Schuft, hatte nur an sich gedacht, als er Sascha aus dem Unterricht holte. Die Folgen musste nun Sascha ausbaden. Und von dem konnte man nicht erwarten, dass er an die Zukunft dachte. Vielleicht war er davon ausgegangen, dass er für immer mit seinem Daddy wegfuhr und der alles regeln würde.
»Ich will aber nicht brav sein. Ich hasse Miss Bailey. Was sie über dich und Daddy sagt, ist schrecklich.«
Rachel beugte sich über den Tisch und nahm seine Hand. »Was zum Beispiel, Sascha? Was sagt sie?«
Sascha blickte auf seine
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