Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
dann?«
»Es klingt so beschissen jämmerlich«, rief Rachel zornig. »Sascha hat ständig nach seinem Vater gefragt, also fuhren wir auf einen Besuch nach London. Anton war sanft wie ein Lamm. Er überhäufte uns mit Geschenken. Idiotisch, wie ich war, fiel ich wieder auf seine Versprechungen herein und erklärte mich einverstanden, es noch einmal zu versuchen. Aber Kerle wie er verändern sich nie. Sie wissen noch nicht einmal, was das Wort bedeutet. Das letzte Mal habe ich ihn vor einem Jahr verlassen. Ich hatte für Sascha und mich in einem anderen Stadtteil von London eine Wohnung aufgetrieben. Anton wollte uns nicht ziehen lassen. Er war wochen- und sogar monatelang weg, aber dann kam er zurück, teilweise wegen Sascha und teilweise meinetwegen. Er ist genauso süchtig nach mir wie ich nach ihm. Manchmal bin ich kaputt genug, mich geschmeichelt zu fühlen.« Sie grinste affektiert. »Ein tolles Pärchen, nicht?«
»Wie lange waren Sie … auf dem Strich?«, fragte Madeleine.
Rachel lachte in sich hinein, weil Madeleine offensichtlich schon der Gedanke an Prostitution unbehaglich war. »Lange genug. Aber ich sage Ihnen etwas. Es Männern in Autos und Hintergassen zu besorgen reicht, um einer Frau den Sex für ein ganzes Leben zu verleiden. Doch nun hören Sie genau hin: Ich kann noch immer richtig scharf auf Anton werden. Und das, obwohl ich ihn absolut verabscheue. Ich hasse ihn aus tiefstem Herzen.«
»Was würden Sie gern zu Anton sagen oder mit ihm anstellen, wenn Sie die Möglichkeit hätten?«
»Ich würde ihn am liebsten im Gefängnis sehen. Und ich würde mir wünschen, dass mit ihm einsitzende sadistische Muskelprotze jede Nacht Schlange stehen, um ihn zu vergewaltigen.«
»Aha«, stieß Madeleine hervor, die offensichtlich schon bei der Vorstellung fast die Nerven verlor.
»Stellen Sie mir ruhig noch eine Frage«, meinte Rachel ungeduldig. Sich in Rachefantasien zu üben, war genau die Art von Therapie, die ihr gefiel.
»Es klingt, als wüssten Sie genug über Anton, um genau das zu tun, was Ihnen vorschwebt, nämlich ihn ins Gefängnis zu bringen – sofern Sie das wirklich wollen.«
»Das ist keine Frage.«
Madeleine musterte sie durch ihre halb geschlossenen Augen. »Also wollen Sie es nicht wirklich.«
»Hören Sie, ich glaube, dass Sie nicht die blasseste Ahnung haben, wovon Sie reden«, gab Rachel scharf zurück. »Mit jemandem wie ihm legt man sich nicht an. Sie bilden sich ein, das Gefängnis würde ihn aufhalten? Sein Bruder Uri würde mich suchen. Uri schwört auf Familienbande, und er ist erheblich skrupelloser und brutaler als Anton.«
Madeleine wirkte schockiert. »Gut. Ich glaube Ihnen.«
Sie schwiegen einen Moment lang.
»Ich weiß, was Sie denken«, platzte Rachel schließlich heraus. »Die Gesellschaft sollte vor Leuten wie uns geschützt werden. Sie glauben, dass Sie zu den Underdogs halten, was? Aber in Wirklichkeit sind Sie davon überzeugt, dass die Gesellschaft nicht nur vor Verbrechern und Zuhältern, sondern auch vor Huren geschützt werden sollte.«
Hatte Madeleine die Augenbrauen kaum merklich zusammengezogen? Gott, war die Frau kaltblütig. Was würde es brauchen, damit sie ihre wahren Gefühle preisgab? Rachel musterte Madeleine gründlich, aber sie konnte weder Abscheu noch Missbilligung erkennen, und ihre Therapeutin zog sich auch nicht innerlich zurück. Sie hatte sozusagen den Test bestanden. Als Rachel sie nun trotzig anstarrte, schien Madeleine mühsam ein Lächeln zu unterdrücken.
»Sie glauben also, dass Sie mich durchschaut haben?«, fragte sie. »Ich dachte, ich bin die Therapeutin hier.«
»Verdammt noch mal, dann lösen Sie meine Probleme.«
»Liebend gern, aber es ist gar nicht nötig. Ich stelle fest, dass Sie es alleine machen.«
»Was für eine gute Nachricht!«, fauchte Rachel. »Und wie löse ich bitte meine Probleme?«
»Sie lassen ihren Zorn heraus. Und kühlen ihr Mütchen teilweise sehr wirkungsvoll an mir.«
»Aha.« Rachel lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Und wie zum Teufel soll mir das helfen?«
»Das liegt ganz bei Ihnen«, konterte Madeleine.
Rachel wandte sich ab. Selbst wenn Madeleine den eigentlichen Grund für ihre feindselige Haltung nie herausfinden würde – sie hatte recht. Echter Zorn unterschied sich von Angriffslust, Feindseligkeit, Grobheit … sogar von Gewalt. Wenn sie zornig genug gewesen wäre, hätte sie den ganzen Dreck gar nicht hingenommen. Natürlich nicht. Aber sie gab Madeleine keine
Weitere Kostenlose Bücher