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Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Titel: Erbschuld: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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ein Scherz.« Rachel seufzte. »Wie auch immer, was soll’s? Auf die schiefe Bahn bin ich geraten, als Mum starb. Aber da war ich ein Teenager. Ich bin weggelaufen. Ich habe Drogen genommen, mir die Arme aufgeschlitzt, Ladendiebstahl begangen. Und dann habe ich, einfach um einem Kerl, in den ich verliebt war, eine Freude zu machen, für Geld gefickt. Wahrscheinlich hätte ich das alles ohnehin getan. Ich habe eben eine Verbrecherstruktur, und fertig.«
    Madeleine hörte ihr nicht wirklich zu, sie musterte ihre Patientin. Rachel war groß und mager. Sie hatte lange, schlanke Hände mit eckigen Nägeln. Zwischen ihren Brauen verlief eine senkrechte Denkerfalte – alles körperliche Merkmale, die sie auch aufwies. Und Rachels Geburtsdatum … mit Bath als Geburtsort – waren das nicht einfach zu viele Zufälle?
    »Sehen Sie mal auf die Uhr«, unterbrach Rachel ihren Gedankenfluss. »Ich muss gehen.«
    »Einen Moment. Wir haben noch zehn Minuten.«
    »Welchen Sinn hat das? Sie sind meilenweit weg.«
    Madeleine zögerte. »Ja, es tut mir leid. Mir geht es im Moment nicht allzu gut. Ich werde Ihnen für diese Sitzung nichts berechnen. Können Sie morgen wiederkommen, Rachel?« Sie nahm ihren Terminkalender und tat, als sähe sie nach, wann sie Rachel einschieben konnte.
    Rachel zog eine Augenbraue hoch. »Ich dachte, Sie seien völlig ausgebucht. Warum nicht nächste Woche?«
    »Ich kann mich morgen mit Ihnen in meiner Mittagspause treffen. In Ordnung? Kommen Sie doch um eins.«
    Sie wusste, dass ihr Vorschlag merkwürdig klang. Aber bis morgen würde sie wissen, wie sie sich verhalten würde. Madeleine legte ihren Terminkalender hin und sah zu Rachel auf. Wieder wurde sie von dem gigantischen Ausmaß dieser (wenn auch unwahrscheinlichen) Möglichkeit erschüttert: Die kratzbürstige, zornige, geschlagene, aber nicht besiegte Frau vor ihr war vielleicht … ihr eigen Fleisch und Blut. Das Gefühl, etwas Wunderbares zu erleben, wurde schlagartig von einer Woge schierer Panik verdrängt. »Ich informiere Sylvia«, stammelte sie.
    Rachel musterte sie eingehend, bevor sie ihre Sonnenbrille vom Beistelltisch nahm und sie aufsetzte. »Gut, wenn Sie darauf bestehen.« Sie stand auf, schüttelte die Beine und schob ihre hautengen Jeans die Oberschenkel hinunter. »Dieses dämliche Weib musste ihre Bemerkungen zu meinem Gesicht machen, sie konnte nicht anders. Sagen Sie ihr, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern soll.«
    »Sie haben recht. Ich werd’s ihr sagen.« Madeleine riss sich zusammen und stand ebenfalls auf. »Ich freue mich, dass Sie heute so offen waren«, war alles, was ihr einfiel.
    »Na gut. Wohin es uns führt, weiß ich allerdings nicht. Das Ganze hier, meine ich.«
    »Passen Sie auf sich auf, Rachel«, erwiderte sie und hielt die Tür auf. »Ich meine, seien Sie vorsichtig … Seien Sie vorsichtig, und wir sehen uns morgen.«
    Rachel runzelte die Brauen, aber man konnte nicht sehen, was für einen Blick sie Madeleine hinter ihrer großen Sonnenbrille zuwarf – verwirrt, misstrauisch, gedankenverloren oder gleichgültig? Mit lautem Stiefelgeklapper wandte sie sich um und ging davon; ihre Zigaretten und das Feuerzeug hielt sie schon in der Hand. Madeleine sah der schlaksigen, schmalhüftigen Frau mit den langen Beinen, dem üppigen kastanienbraunen Haar und dem herausfordernd aufrechten Gang nach.
    Wer bist du?, flüsterte sie.
    Froh, dass sie jetzt Kaffeepause hatte, setzte sie sich in ihren Sessel. Ihre Gedanken waren wie gelähmt, ihr Körper wie versteinert. Dennoch spürte sie, wie sich etwas in ihr regte. Etwas, das erstarrt war, kam in Bewegung. Risse bildeten sich, und etwas bisher Unbekanntes brach hervor. Aber sie war außerstande, die in ihr vorgehende Umwälzung zu analysieren.
    Vor ihrem inneren Auge tauchte Forrests Gesicht auf.
    »Ich habe Angst«, flüsterte sie. »Forrest? Hörst du mich?«
    Forrest und sie hatten immer darauf gehofft, ihre Tochter eines Tages zu finden; dass Mikaela, wenn sie dafür alt genug war, ihren Namen in die Liste der Kinder eintragen würde, die ihre leiblichen Eltern kennenlernen wollten. Ihren eigenen Namen hatten sie schon früh eingetragen, und im Verlauf der Jahre sahen sie immer häufiger nach, ob Mikaela den Wunsch hatte, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Sie erhielten jedoch stets die gleiche Auskunft: Ihre Tochter hat sich nicht gemeldet. Nein, niemand weiß, wo sie ist. Ja, sie könnte ins Ausland gezogen sein, geheiratet haben, sogar gestorben

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