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Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Titel: Erbschuld: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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mittlerweile hatte der große Zeiger der Wanduhr die Zwölf bereits hinter sich gelassen. Madeleine war besorgt und verwirrt. Sie hatte die ganze Nacht gegrübelt, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte, und dann beschlossen, einfach die Wahrheit zu sagen. Sie würde Rachel erzählen, dass sie eine Tochter hatte, die am gleichen Datum wie sie geboren war, und dass es ihre professionelle Pflicht sei, diesem bemerkenswerten Zufall gründlich nachzugehen. Rachel hatte zwar ihr Geburtsdatum nicht in das Formular eingetragen, aber Madeleine würde einfach behaupten, sie habe es erwähnt. Mit ein bisschen Glück kam es Rachel nie in den Sinn, dass sie ihre Handtasche durchsucht hatte, um an ihre persönlichen Daten zu kommen. Sie würde noch einmal nachhaken, ob sie nicht doch adoptiert worden war, und sei es, ohne ihr Wissen. In diesem Zusammenhang würde sie zudem die Frage in den Raum stellen, ob Rachels fremdländische Gesichtszüge nicht ein Hinweis auf nicht-britische Gene sein könnten.
    O Gott! Bei Tageslicht betrachtet, klang das alles weit an den Haaren herbeigeholt. Aber sie hatte keine Wahl. Sie würde sachlich und rational bleiben und betonen, sie müsse unbedingt herausfinden, ob sie verwandt seien, weil in dem Fall die Therapie nicht fortgeführt werden konnte. Verdammt! Das klang schrecklich. Besser, sie sagte: »Es ist sehr wichtig, diese Möglichkeit auszuschließen«, damit sie hinterher mit der Therapie fortfahren konnten.
    Während sie ihre Rede gedanklich vorbereitete, war Madeleine unbehaglich zumute. Sie sah Rachels verächtliche Miene lebhaft vor sich. Sie würde wahrscheinlich in Gelächter ausbrechen und ihrer Therapeutin raten, sie in Ruhe zu lassen und sich selbst einer Therapie zu unterziehen.
    Madeleine sah zur Uhr. Zehn nach.
    Unter Sylvias Eingangskorb lag ein Buch. Sie zog es hervor. Überraschung! Es war das I Ging. Ihre naseweise Sprechstundenhilfe setzte dieses Buch chinesischer Weisheit vermutlich ein, um all den armen Leuten, denen die Therapie nicht half, den rechten Weg zu weisen. Sie überflog es. Forrest hatte ihr zwar von seiner chinesischen Großmutter erzählt, aber sie hatte sich nie wirklich für China interessiert. Sie selbst hatte sich früher immer Rat in dem dicken Band über das Dioggún geholt, das Kauri-Orakel der Santeria. Wie das I Ging war das Dioggún nicht nur ein Instrument zur Weissagung, sondern der Zugang zu einem mächtigen Transformationsprozess.
    Ihr Glaube war teilweise durch den falschen Gebrauch, den ihre Mutter von der Santeria machte, vergiftet, teilweise durch den gnadenlosen Tod von Forrest erschüttert und zerstört worden. Dennoch litt sie häufig darunter, den Zugang zu dieser Art der Spiritualität verloren zu haben. Die Santeria war ein schöner, geheimnisvoller, durch tausend Jahre der Ausübung stark gewordener Glaube, und in ihrer Jugend hatte sie auf seine Kraft vertraut. Ihr Umzug in das spirituell unfruchtbare Großbritannien hatte es ihr recht leicht gemacht, die Santeria als grotesk und unnütz abzutun. Doch jetzt, da sie einen Rat brauchte, besann sie sich auf die Weisheit dieses Glaubens. Außer Rosaria kannte sie hier keine einzige Santera, an die sie sich hätte wenden können, obwohl es viele geben musste. Sie nahm sich vor, ihre Santeria-Bibel hervorzuholen und sich die Worte des Orakels wieder ins Gedächtnis zu rufen.
    Die Minuten verstrichen. Gegen halb zwei wurde ihr klar, dass Rachel nicht kommen würde. Warum nicht? Und warum hatte sie nicht angerufen, um die Verabredung abzusagen? Ihre Befragung gestern und Madeleines merkwürdiges Verhalten konnten sie abgeschreckt haben. Ob das bedeutete, dass sie die Therapie abgebrochen hatte? Ihr kam der Gedanke, dass Rachel ebenfalls einen Verdacht hegte. Falls das zutraf, hatte Madeleine ihre Patientin wahrscheinlich das letzte Mal gesehen. Mikaela hatte schließlich nie in Verbindung zu ihr treten wollen.
    Madeleine schloss die Praxis ab und ging nach draußen. Die Leute standen noch immer in Schlangen an, um einen Platz zum Essen in einem der trendigen kleinen Restaurants in der Passage zu bekommen. Sie selbst hatte keinen Hunger, aber die Sonne schien, und ihr war nach einem flotten Fußmarsch zumute, um ihre tiefe Enttäuschung zu überwinden.
    Egal, wer Rachel war, sie schien eine Patientin verloren zu haben, die ihr aufrichtig am Herzen lag. Ihr würden die hitzigen Debatten fehlen; sogar Rachels Sarkasmus und ihr Spott über Madeleines Naivität. Durch Rachel hatte sie

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