Erdbeerkönigin
viel zu erzählen.«
Alissa sieht mich über den Rand ihres Glases auffordernd an. »Dann erzähl das Wenige.«
Als ich geendet habe, sieht mich Alissa mit gerunzelter Stirn an. »Aber deswegen musst du nicht zwei Wochen in Hamburg bleiben. Du hättest doch diese Rede auch zu Hause schreiben können und wärst dann zur Beisetzung gefahren.«
»Aber ich kannte Daniel doch gar nicht mehr. Wie hätte ich da eine gute Rede schreiben sollen!«
Alissa zeigt mir einen Vogel. »Na, der Einzige, der das hätte beurteilen können, war doch Daniel. Und der schweigt.« Sie grinst verlegen.
»Du verstehst mich nicht«, spiele ich die Gekränkte.
»Falsch. Ich verstehe dich sehr gut. Und ich müsste blind sein, wenn ich nicht erkennen würde, dass es hier um viel mehr geht. Nur, um was? Wegen eines Toten willst du dich doch wohl nicht von Nick trennen, oder?« Ihre Augen weiten sich. »Also muss es jemanden geben, der lebendig ist. Einen anderen Mann. Hast du jemanden kennengelernt?«
Ich wehre erst ab, aber dann verführt mich ein Anflug von Eitelkeit dazu, mit Filous Annäherungsversuchen zu prahlen.
Alissa ist befriedigt. »Also doch ein anderer!«
»Nein. Es hat mir nur sehr geschmeichelt, und im letzten Moment habe ich mich vor einem Kuss gedrückt.«
Alissa legt ihre Stirn wieder in Falten. »Mit anderen Worten: Es geht also um dein gesamtes Leben, richtig?«
Ich bin erstaunt. So habe ich das noch nicht gesehen. Aber Alissa hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie spielt mit dem Schaum und sagt langsam: »Die große Frage – wie soll man leben?« Ich ergänze: »Genau – und mit wem? Mit wem bin ich glücklich?«
»Du bist tatsächlich in der Krise.«
»Sag ich doch. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre nicht nach Hamburg gefahren. Vielleicht war es ein Fehler.«
Alissa verzieht skeptisch ihr Gesicht. »Tschechow sagt: ›Wo Fehler sind, da ist auch Erfahrung.‹«
Manchmal fällt mir Tschechow auf die Nerven. Vor allem, weil mich mitunter das Gefühl beschleicht, dass Alissa sich ihre Tschechow-Zitate im freien Fall selbst ausdenkt. Ich wedele die russische Weisheit mit einer Handbewegung fort.
»Aber ich war doch glücklich mit Nick. Wo ist das Glück geblieben?«
Alissa schnippt ein Schaumflöckchen in meine Richtung. Sie denkt nach und sagt schließlich: »Ich sehe es so: Glück in der Liebe heißt nun mal nicht, dass man vierundzwanzig Stunden lang Hand in Hand und lächelnd über blühende Wiesen läuft. Und das jahrein, jahraus. Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab, Regen und Sonne, Fehler und Missverständnisse.«
»Ich möchte aber eine Liebe für immer!«, jammere ich. »Ohne Achterbahn und dieses Regen- und Sonnentheater.«
»Das ist unmöglich. Das weißt du doch auch. Auf die Liebe und das Leben gibt es keine Garantie. Du kannst doch Nick auch nicht befehlen: ›Stirb nicht vor mir!‹ Die Liebe ist das Versprechen auf eine Hoffnung. Und das ist doch schon so viel. Ein Restrisiko bleibt immer.«
»›Für immer‹ wäre aber schön, oder? Was ist daran falsch, dass ich glücklich sein will?« Ich verziehe störrisch das Gesicht. »Ich hätte nichts dagegen, immer glücklich zu sein. Und glücklich zu bleiben. Aber im Moment tut Nick nicht gerade viel, um mich glücklich zu machen. Ich interessiere ihn gar nicht mehr. Und ich frage mich, warum das so ist. Und was man tun kann, damit man glücklich bleibt. Ich will doch nur Sicherheit.«
»Du bist doch sonst nicht solch ein Angsthase. Das Leben ist unvorhersehbar. Ich kann mir schließlich nicht jetzt das Bein eingipsen, weil ich vielleicht in drei Jahren einen Unfall habe.« Sie streckt sich. »Die Haut an meinen Fingern wellt sich schon – ich geh raus, bevor ich Fischflossen bekomme! Lass uns doch auf dem Balkon weiterreden.«
Sie steigt aus dem Wasser, schlingt ein Handtuch um ihren Körper und sagt: »Weißt du, Eva, vielleicht stellst du die falsche Frage. Frag doch mal, wen
du
glücklich machen kannst, anstatt zu fragen, wer dich glücklich macht. Ich bin jetzt fast zwanzig Jahre verheiratet und habe eins gelernt: Glück ist im Leben ein Überraschungsbesuch. Ein Fest, das man feiert, ohne Einladungen verschickt zu haben. Ein spontaner Kuss, ein unerwartetes Lachen.« Sie strahlt mich an und zwinkert mir zu. »Der unerwartete Anruf deiner Freundin. Der Rest ist Alltag. Und den muss man mit viel Kraft jeden Tag aufs Neue bewältigen. Sonst kann man sich gleich selbst erschießen. Denn deinen Alltag nimmt dir keiner
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