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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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»Kontakt« die Telefonnummer der Galerie finde. Vielleicht sollte ich dort anrufen und mich ankündigen? Das wäre unverfänglicher, als Filou auf dem Handy anzurufen. Nein, ich werde jetzt erst einmal ein wenig Hamburg erkunden und mir dann die Galerie ansehen. Also ziehe ich meine neuen Schuhe an und nehme den nächsten Bus ins Zentrum.
    Am Jungfernstieg bummle ich zunächst an der Binnenalster entlang, an teuren Geschäften und Glasfassaden vorbei, dann durch Hamburgs älteste Einkaufspassage, die Alsterarkaden, die an einem kleinen Kanal liegen. Hier tummeln sich die berühmten Alsterschwäne auf dem Wasser. Ich habe ein bisschen das Gefühl, als wüssten die Tiere genau, wie dekorativ sie auf dem Wasser aussehen. Und auch der hochmütige Blick der Möwen, die auf den Stufen am Ufer sitzen, wirkt, als ob sie vom Fremdenverkehrsbüro engagiert wären, um sich für die Touristen fotogen in Szene zu setzen. Alte Damen, adrett und teuer gekleidet, sitzen beim Kaffee. Sie blicken abwechselnd auf die Alster und das Rathaus, und immer wieder höre ich im Vorbeigehen ihre zufriedenen Ausrufe: »Herrlich!«
    Ich flaniere über den Rathausmarkt und lande dann in der wohl größten Einkaufspassage der Stadt, der Europa-Passage. Mit ihren fünf Ebenen und dem großen Atrium erinnert sie mich an ein Kreuzfahrtschiff. Kaufwütige und Schaulustige schieben sich aneinander vorbei, drängeln sich in Läden und schleppen ihre Einkäufe in großen Tüten nach draußen. Ich schlendere durch das Untergeschoss, besuche verschiedene Etagen und stehe schließlich, erschöpft von dem Treiben, der warmen Luft und den vielen Menschen am Geländer der dritten Ebene. Ich blicke hinunter in die Mitte. Hunderte von Passanten laufen im Erdgeschoss entlang, weitere verteilen sich auf den unteren Ebenen, bilden einen gleichmäßigen Strom, der mich an den Blick aufs Meer erinnert. Auch dort gehen die vielen individuellen Wellen im Großen und Ganzen auf. Als ich versuche, einzelne Menschen aus der Menge herauszufiltern und ihren Weg zu verfolgen, fällt mir ein großer, schlanker Mann im dunklen Anzug auf. Etwas an der Art, wie er seinen Kopf hält und die Haare aus der Stirn streicht, erinnert mich an … Daniel. Tatsächlich, er könnte es sein. Ich beuge mich weit über das Geländer, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er strebt dem Ausgang zu. Ohne nachzudenken, laufe ich zum Fahrstuhl. Obwohl ich weiß, dass es unmöglich ist, will ich unbedingt versuchen, mir den Mann näher anzusehen. Aber als ich unten ankomme, ist er wie vom Erdboden verschluckt.
     
    Ein großer Stadtplan verrät mir, dass ich vom Jungfernstieg zu Fuß zur Galerie gehen kann. Gemächlich mache ich mich auf den Weg, bis ich nach einer halben Stunde vor der Galerie lande. Ich drücke die schwere Glastür auf und fühle mich ein wenig wie am Vortag in der Kirche.
     
    Der Raum ist hell und luftig. An der gegenüberliegenden, hohen weißen Wand hängt ein riesiges Bild, ein Meerespanorama von fast fotografischer Klarheit. Wellen, Wellen, Wellen. Darüber ein schmaler Streifen Himmel. Während ich im Eingang stehenbleibe, habe ich das Gefühl, in das Bild hineingesogen zu werden, in Licht und Schatten zu versinken … ein Moment in Zeitlupe. Ich erkenne Schattierungen, fühle das Wogen der Wellen, als ob ich in einem Boot auf ihnen schaukeln oder durch sie hindurchschwimmen würde. Ich bin überrumpelt, fassungslos. Denn ich weiß, warum Daniel dieses Bild aufgehängt hat. Er muss es selbst gemalt haben. Unwillkürlich suche ich nach der Signatur des Malers, aber ich kann keine entdecken. Die Wellen sind so nahe. Ich kneife die Augen zusammen, tauche ein in die Gischt. Ich sitze mit Daniel am Elbstrand, sein Gesicht ist ganz dicht an meinem und dann …
    Im hinteren Bereich der Galerie wird eine Tür geschlossen. Ich drehe mich um, aber ich bin immer noch allein. Der Raum ist leer, karg, klösterlich. In der Mitte steht die Skulptur, die ich auf dem Foto im Internet gesehen habe. Auch dieser Raum erinnert mich an etwas, aber ich weiß nicht genau, woran. Das Bild eines weißen Hauses, das wie ein Lichtpunkt in einem dämmrigen Park steht, flirrt durch mein Gedächtnis. Aber obwohl mir nicht klar ist, was dieses Bild mit Daniel und unserer Geschichte zu tun hat, spüre ich vor dem Meer-Bild und in diesem Raum eine Verbindung zu ihm, stärker als in seiner Wohnung. Ich kann mir Daniel hier gut vorstellen, ahne, dass er hier mit derselben Selbstverständlichkeit

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