Erdbeerkönigin
Zeichnungen in der Schublade des Sekretärs. »Hat er noch selbst gemalt?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.« Wieder meine ich an seiner Stimme zu hören, dass er etwas verschweigt. Auf jeden Fall bemüht sich Hubertus, von dem Thema abzulenken. Hastig fragt er: »Kanntest du seine Eltern?«
»Ich habe sie einmal gesehen. Leben sie noch?«
»Nicht mehr.«
Einen Moment lang schweigen wir beide ratlos. Wen fragt man, wenn man etwas über einen Menschen herausfinden will? Die Eltern und die Freunde. Ersteres fällt weg, Letzteres ist zwar ergiebig, aber eher verwirrend. Ich forsche in meinem Kopf nach weiteren Lösungsmöglichkeiten. »Heute hat doch jeder seinen elektronischen Steckbrief in der digitalen Welt abgeliefert.« Außer mir, ergänze ich innerlich. Laut frage ich: »War Daniel bei Facebook?«
»Nein, Daniel war nicht bei Facebook. Er war mit der Galerie in diversen Kunst-Netzwerken aktiv, aber privat konnte er dem Internet nichts abgewinnen. ›Mit den wenigen Menschen, die ich Freunde nennen darf, möchte ich weiter persönlich umgehen‹, hat er immer gesagt. ›Und ich kann ihnen doch E-Mails schicken.‹«
Hubertus ist deutlich anzumerken, dass er Daniels Meinung teilt.
Er fährt fort: »Die Galerie hat eine Website. Wie gesagt, Daniel war am Internet als Selbstdarstellungsplattform nicht interessiert. Da war er so altmodisch wie ich.«
Langsam gehen mir die Ideen aus, und ich halte mich an dem Wort »altmodisch« fest.
»Hat er dann vielleicht Tagebuch geführt? Womöglich mit Feder und Tinte?«
Hubertus lacht auf. »Daniel? Kann ich mir nicht vorstellen.«
Während ich weiter durch die Wohnung stromere, fällt mein Blick auf die geöffnete Tür von Daniels Kleiderschrank. Mir leuchtet das gelbe Post-it auf dem Anzug entgegen.
»Wer ist Maria?«
»Maria?«
Ich erzähle Hubertus von dem Zettel im Schrank.
»Das ist seine Putzfrau. Sie kommt aus Lateinamerika, ich glaube, aus Ecuador.«
»Wo ist sie jetzt?«
Das weiß Hubertus nicht. »Ich habe ihr noch dreißig Euro von Daniel gegeben. Dann ist sie verschwunden. Vielleicht hat Alex ihre Telefonnummer.«
»Warum wollte er seinen dunklen Anzug reinigen lassen?«
Hubertus schweigt so lange, dass ich schließlich frage: »Bist du noch da?«
»Ja, natürlich. Entschuldige, Eva, aber ich bin in letzter Zeit manchmal so unkonzentriert. Was hattest du gefragt? Sein Anzug, stimmt’s?« Er räuspert sich. »Ach, das war eine Art Spiel von uns. Er hatte doch so viele Anzüge, und als er krank wurde und immer dünner, hat er sie nach und nach in die Reinigung geschickt.«
»Warum?«
Wieder entsteht ein Schweigen in der Leitung. Dann räuspert sich Hubertus. Seine Stimme schwankt ein wenig, als er sagt:
»Er wollte alles sauber und ordentlich hinterlassen, damit es besser entsorgt werden kann.« Ich höre, wie er schluckt. Seine offensichtliche Trauer bedrückt mich. Mir kommt es vor, als würde ich mit Holzschuhen durch eine Kirche rennen, trotzdem frage ich: »Hat er denn von Anfang an gewusst, dass er sterben würde?«
Hubertus atmet aus. Vielleicht unterdrückt er auch gerade Tränen. Ich warte mit klopfendem Herzen. Nach einer langen Weile höre ich wieder seine Stimme.
»Nein, er wusste nicht, dass er … dass es so schlimm war. Er hat bis zuletzt die Hoffnung nicht aufgegeben.«
Er schnüffelt ein wenig, putzt sich die Nase, und dann bricht er das Gespräch ab.
»Eva, bitte sei nicht böse, aber ich habe jetzt einen Termin und muss aufhören. Ich melde mich im Laufe der Woche noch einmal. Und grüß Filou von mir.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legt er auf. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein soll.
Mit »Galerie 20 « gelingt es mir, ins Internet zu kommen. Als Erstes google ich die Galerie selbst: Ich bin angetan und etwas eingeschüchtert – der Auftritt ist sehr kühl und sehr seriös. Ich klicke mich durch Ausstellungsfotos und Abbildungen von Gemälden und finde unter der Rubrik »Über uns« ein Foto von Daniel und Filou. Sie stehen nebeneinander vor einer Plastik in einem großen, weißen Raum. Beide lächeln. Das Foto ist, wie der Bildhinweis vermerkt, zwei Jahre alt. Daniel – im grauen Anzug mit dunklem Poloshirt – sieht ernsthaft und distinguiert aus, Filou mildert die Strenge des Fotos durch sein leuchtend grünes Hemd. Sie sehen aus wie Partner, die einander gut verstehen. Selbstsicher, problemfrei, kraftvoll. Wie erfolgreiche Menschen.
Einen Moment zögere ich, als ich unter
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