Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
Vom Netzwerk:
gestanden haben wird wie damals der barfüßige Junge am Elbstrand: sicher, stolz, aber auch ein wenig einsam dem Wind ausgesetzt.
    »Ma belle!«
    Filou kommt plötzlich auf mich zugeeilt und umarmt mich stürmisch. Die Kühle der Galerie verfliegt unter seinen Berührungen. Sein blaues Hemd leuchtet vor den weißen Wänden. Verlegen erwidere ich seine Umarmung. Er ist so spontan und intim, als wären wir ein Liebespaar, das sich nach langer Trennung wiedersieht. Er legt seine Hand auf meinen Rücken, zieht meine Hüfte an seinen Körper, so dass ich seine Brust, den Bauch und seine Oberschenkel spüre, und krönt diese Ganzkörperbegrüßung mit zwei Küssen auf die Wangen.
    Danach hält er mich auf Armeslänge von sich entfernt und mustert mich wie ein Vater, der überprüft, wie viel seine Tochter nach einem Ferienaufenthalt gewachsen ist. Offenbar gefällt ihm, was er sieht, denn er seufzt zufrieden auf und nickt mir lächelnd zu. »Enfin! Warum hast du dir so lange Zeit genommen? Ich habe dich viel früher erwartet.« Gestikulierend führt er mich nach hinten. »Komm mit ins Büro, da gibt es etwas zu trinken, und wir haben unsere Ruhe.«
    Da sich keine Besucher in der Galerie befinden, hätten wir durchaus auch im vorderen Bereich »unsere Ruhe«, aber Filou zieht mich weiter. »Hier entlang!«
    Das Büro ist mittelgroß, ein Schreibtisch und ein kleines Sofa. Nebenan gibt es eine Kochnische mit einem Kühlschrank. Regale mit Aktenordnern, Katalogen und Büchern säumen die Wände. Eine offene Balkontür gibt den Weg in einen kleinen Garten frei, in dem um einen weißen Tisch einige Stühle stehen.
    »Kaffee?«
    Filou stellt eine Schale Kekse auf den Gartentisch und zieht mich nach draußen.
    »Und wenn jemand in die Galerie kommt?«
    Er winkt ab. »Momentan ist es ruhig. Außerdem kommen die meisten Besucher mit Voranmeldung. Und hier können wir das Klingeln der Tür gut hören.«
    Er macht mich nervös, stelle ich irritiert fest. Ich bin schon lange nicht mehr mit einem fremden Mann allein gewesen. Welchen Grund sollte ich dafür auch haben, schelte ich mich innerlich. Ich bin schließlich verheiratet. Trotzdem genieße ich dieses Kribbeln, das er bei mir auslöst. Mir gefällt es, in diesem Großstadtgärtchen zu sitzen, zwischen hohen weißen Häusern mitten in Hamburg, hinter einer schicken Galerie und mit einem gutaussehenden Franzosen. Der flirtet mittlerweile offensiv mit mir, indem er jede Frage mit einem Augenzwinkern begleitet und dabei an meinem Ärmel zupft, über meine Hand streichelt oder imaginäre Staubflusen von der Jacke klopft. »Dir gefällt das Bild vorn?«
    Ich nicke. »Hat Daniel es gemalt?«
    Filou schüttelt den Kopf. »Viel besser, er hat es vollendet.«
    »Vollendet?«
    Filou genießt, dass ich ihm an den Lippen hänge, und lehnt sich zufrieden zurück.
    »Bei den Vorbereitungen zu einer Ausstellung sind wir auf der Suche nach einer neuen Location auf Dachräume in einem Abbruchhaus gestoßen. Und dort war das Bild. Erst haben wir es übersehen, aber dann ist Daniel eine Rolle aufgefallen, die hinter einem Regal lehnte.«
    »Eine Rolle?«
    »Leinwand rollt man. Daniel hat sie geöffnet und die Leinwand vorsichtig aufgerollt. Das Bild hat ihn umgehauen. Mich auch – aber für Daniel hatte es eine besondere Bedeutung, die ich nie verstanden habe. Er war geradezu besessen davon.«
    »Und der Maler?«
    Wieder schüttelt Filou den Kopf. »Ist unbekannt. Daniel hat zwar versucht herauszubekommen, ob der Maler ein Bewohner des Hauses war, aber das war nicht mehr festzustellen. Das Bild war ziemlich mitgenommen, es hatte offenbar lange Zeit auf diesem Dachboden gelegen. Daniel hat es über Jahre hinweg restauriert – und quasi neu gemalt. Er hat es vollendet.« Ein Schatten fliegt über Filous Gesicht. »Erst kurz bevor er die Diagnose bekam, ist er damit fertig geworden.« Einen Moment lang schweigen wir beide.
    »Wird das Bild hierbleiben?«, frage ich dann.
    Filou nickt. »Erst einmal. In seinem Testament bittet Daniel darum, dass das Bild hängen bleibt, solange es die Galerie gibt.«
    Wir verstummen abermals. Es ist, als ob wir ein Geheimnis miteinander teilen, eine Stimmung der Vertrautheit wächst zwischen uns. Anders kann ich mir auch nicht erklären, dass ich
    Filou übergangslos eröffne: »Weißt du, es klingt vielleicht verrückt, aber ich habe vorhin geglaubt, Daniel zu sehen.« Filou blickt mich überrascht an. »Gerade habe ich mit Hubertus darüber gesprochen, dass ich

Weitere Kostenlose Bücher