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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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Samstag im Café das Notenblatt gegeben.«
    Stanislaw nickt. »Walzer aus Film ›Der Pate‹.« Wie zur Bestätigung summt er die ersten paar Takte.
    Dr. Lenchen reißt die Augen auf. »Das kenne ich. Ein großartiger Film. Und die Musik! Da läuft mir immer noch ein Schauer den Rücken hinunter.« Sie summt jetzt ebenfalls.
    »Warum haben Sie mir die Noten gegeben?«, unterbreche ich die beiden.
    Stanislaw legt den Kopf auf die Seite und sagt dann leise: »Ich dachte, Sie vielleicht können mit diesem Lied die Traurigkeit aus Ihrer Seele locken.« Er blickt auf seine Hände. »Das ist alles. Nichts Besonderes. Als ich gespielt habe, Sie haben zugeguckt, als ob Sie wüssten, was ich tue. Also ich dachte, dass Sie selbst spielen.« Er steht auf, wiegt Dr. Lenchens Schlüssel in seiner Hand. Noch einmal nickt er uns zu, dann geht mit kleinen Schritten zum Ausgang.
    Ich schaue ihm nach. »Nicht jeder würde einem russischen Straßenmusiker den Schlüssel zur eigenen Wohnung geben«, sage ich zu Dr. Lenchen.
    Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Nur weil er auf der Straße Akkordeon spielt, ist er nicht kriminell, meine Liebe. Er hat übrigens in Russland Musik studiert.«
    Ich nicke. »Und er war Musiklehrer in St. Petersburg.«
    »Na, dann wissen Sie doch alles!« Dr. Lenchen stützt ihren Kopf in die linke Hand. »Warum sollte ich vor einem Musiklehrer, der dazu noch Tschechow zitiert, Angst haben?« Sie schaut mich mit ihren wachen Augen an und wechselt das Thema. »Was ist mit diesem Mann, der gestorben ist, Eva? Haben Sie mit ihm die Walzermusik gehört?«
    Erstaunlich, wie vertraut es sich anfühlt, mit Dr. Lenchen zu sprechen. Ich habe das Gefühl, sie schon seit Jahren zu kennen. Und so erzähle ich ihr, wie ich Daniel kennengelernt habe. Dass ich nie wieder von ihm gehört habe. Und dass ich von seinem Wunsch, mir die Grabrede anzuvertrauen, genauso überrumpelt wurde wie seine Freunde.
    »Und was ist mit Ihrem Mann?«
    »Der findet mehr als merkwürdig, was ich hier mache«, sage ich mit einem ironischen Unterton und verziehe meinen Mund. Aber Dr. Lenchen bleibt ernst. Sie sagt nachdenklich: »Es ist doch merkwürdig, dass Sie kurz entschlossen in eine fremde Stadt fahren, um eine Rede am Grab eines Menschen zu halten, den Sie gar nicht kannten.« Sie sieht mich offen an. »Es gäbe doch auch die Möglichkeit abzusagen. Oder?«
    Ich starre in ihr Gesicht. Dr. Lenchen hat recht. Ich hätte absagen können. Lahm antworte ich: »Das ist mir nicht eingefallen.«
    Dr. Lenchen legt den Kopf abwägend auf die Seite. »Es muss also mehr dahinterstecken. Bitte verzeihen Sie mir die Direktheit, aber wofür setzen Sie Ihre Ehe, Ihre Familie aufs Spiel?«
    Ihre Stimme klingt so freundlich, als hätte sie mir gerade ein Stück Kuchen angeboten, aber der Inhalt ihrer Worte wirkt auf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Erschrocken suche ich nach Worten. »Ich setze meine Ehe doch nicht aufs Spiel, nur weil ich nach Hamburg gefahren bin.«
    Dr. Lenchen lauscht meinem Satz nach. Sie legt ihren Finger nachdenklich an die Nase und wiederholt: »Nur weil ich nach Hamburg gefahren bin. Nur?« Dann fragt sie: »War dieser Daniel Ihre große Liebe?«
    »Nein!« Die Vertrautheit zwischen uns ist wie weggeblasen. Wut schießt in mir hoch. Dr. Lenchen kennt mich doch gar nicht! »Meine große Liebe ist …« Ich verstumme. Ich wollte sagen: »Meine große Liebe ist Nick.« Aber darf ich das überhaupt sagen? Fühle ich das immer noch? Ich setze noch einmal an: »Meine große Liebe ist eigentlich Nick.«
    »Eigentlich? Also, Eva, wenn man die Liebe mit der Einschränkung ›eigentlich‹ kombiniert, dann ist etwas faul.«
    Ich schüttle zornig den Kopf. Dr. Lenchen fängt an, mir auf die Nerven zu gehen. Sie setzt schon wieder ihr Detektivgesicht auf und bohrt: »Was war Daniel für Sie?«
    Verärgert blicke ich zu Boden, mein Atem geht schnell, und unvermittelt platzt es aus mir heraus, was ich noch niemals laut gesagt habe: »Ich war verliebt in Daniel.« Meine Hände umklammern das Kaffeeglas so fest, dass meine Knöchel weiß werden. »Dass Daniel mich auswählte, um mit mir von Tante Hedwigs Geburtstagsfeier abzuhauen, war unglaublich für mich.«
    »Aber waren Sie nicht die Einzige, die in Frage kam? Es gab doch keine anderen Jugendlichen auf der Feier.«
    Das weiß ich selbst, aber es gefällt mir nicht, wie vernünftig Dr. Lenchen argumentiert. Ihr selbstzufriedener Gesichtsausdruck erinnert mich an alte Krimis,

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