Erdbeerkönigin
Spielfeld stand, spielte es auch keine Rolle, wie pummelig sie war.
»Du warst schon immer stabil«, pflegte ihre Mutter verständnisvoll zu sagen. Eva verabscheute diesen Ausspruch. Sie wollte nicht immer stabil gewesen sein. Sie wollte viel lieber eine Elfe sein. Eva dachte mit Grauen an das Wort »Pfirsichpopöchen«. So hatte ihre Mutter sie als Baby genannt, und manchmal rutschte ihr das noch heute heraus. Das waren Momente, in denen Eva am liebsten im Boden versunken wäre. Ein stabiles Pfirsichpopöchen – wenn das nicht nach einem Hauptgewinn klang! Nein, mit ihrer Figur war Eva chronisch unzufrieden.
Und ihr Haar? Es fiel in einem unentschiedenen Dunkelblond über ihre Schultern. »Schnittlauchlocken«, hatte ihr Vater sie zärtlich geneckt. Und obwohl sie wusste, dass es nur ein Spaß gewesen war, hatte sie auch dieses Wort nie vergessen. Jeden Morgen dachte sie daran, wenn sie vor dem Spiegel stand. Ob Eltern wohl eine Ahnung davon hatten, was sie ihren Kindern mit ihren gut gemeinten Koseworten und angeblich lustigen Kommentaren antaten?
Sie sah wieder auf ihre Füße. Sie waren nicht besonders groß, aber auch nicht klein. Ihre Zehen waren … Zehen und ihre Füße … Füße. Und jetzt fand Daniel sie süß. Können Füße süß sein?
Verlegen versteckte Eva sie unter der Bank und sah ihn unsicher an.
Aber Daniel schien ihre Füße schon vergessen zu haben. Er streckte sich auf der Sitzfläche aus, zog eine Sonnenbrille aus der Brusttasche seines feuchten Hemdes und setzte sie auf. Dann fragte er: »Warum bist du mitgekommen?«
Bevor Eva nachdenken konnte, hörte sie sich keck zurückfragen: »Warum bist du abgehauen?« Sie war über sich selbst überrascht. Etwas an diesem Daniel ließ die schüchterne, langweilige Eva verschwinden und ein freches, selbstbewusstes Mädchen zum Vorschein kommen.
Daniel grinste. »Das kann ich schnell beantworten. Es war so heiß. Und die Vorstellung, noch einmal das Geburtstagsständchen ertragen zu müssen …« Er machte eine lässige Handbewegung, die Eva sehr welterfahren vorkam.
»Gehst du noch zur Schule?«
»Habe gerade Abi gemacht. Jetzt kommt nur noch die mündliche Prüfung.« Er blickte hinüber auf das Elbufer. »Und du?«
»Ich war auf der Realschule. Dann hab ich erst eine Ausbildung zur Bürokauffrau begonnen. Aber das war nichts für mich. Jetzt will ich Krankenschwester lernen. In Hannover.« Aus einem unbestimmten Gefühl verschwieg sie, dass sie Erdbeerkönigin war. Sie war sich nicht sicher, ob sich Daniel darüber lustig machen würde. Daniel nickte. »Super.« Dann sah er sie frech an. »Krankenschwestern werden ja immer gebraucht.«
Eva musste wider Willen lachen. Und sie fasste nun doch Mut. Warum auch immer – bei diesem Jungen traute sie sich viel mehr als sonst. Vielleicht gerade weil er sie gar nicht kannte. Weil er nicht wusste, dass sie in der siebten Klasse bei einer Tanzaufführung ausgerutscht und so zum großen Lacher des Schulfestes geworden war. »Die ist ja ein Kracher!«, hatte ein Vater höchst amüsiert gerufen. Diese Begebenheit hatte zu ihrem schulinternen Spitznamen »Krachi« geführt, den Eva hasste, weil er sie diese schreckliche Situation niemals vergessen ließ. Aber Daniel wusste nichts von Krachi und anderen peinlichen Begebenheiten. Er fand, dass sie süße Füße hatte. Eva schürzte die Lippen und drohte ihm scherzhaft: »Pass bloß auf, dass
ich
nicht eines Tages diejenige bin, die dir den Hintern abwischen muss.«
Daniel lachte schallend. »Davor hätte ich keine Angst. Das machst du bestimmt sehr nett.« Er wurde wieder ernst. »Obwohl … Es muss doch eklig sein, fremde Leute anzufassen, zu pflegen und so. Stell dir mal Tante Hedwigs Geburtstagscombo im Krankenhaus vor: lauter alte Vogelscheuchen, die dir das Ohr abquatschen und aus dem Mund riechen.« Er verzog angewidert das Gesicht.
Eva sah auf ihre Hände. »Ich finde alte Menschen nicht eklig.«
Daniel sah sie verblüfft an.
»Nicht?« Er hockte sich vor sie und stützte seine Ellbogen auf ihre Knie.
Eva wäre unter der Bewegung fast zusammengezuckt, aber sie riss sich zusammen. So hatte sie doch immer sein wollen! Entspannt und unbekümmert wie die hübschen Mädchen der Schule, die mit den Jungs ganz ungezwungen umgingen. Die sie berührten, sie knufften oder umarmten und die alle immer so locker, aber gleichzeitig vertraut miteinander waren. Da saßen die Mädchen bei den Jungs auf dem Schoß, auch wenn es sich nicht um den festen
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