Erdbeerkönigin
Freund handelte. Man umarmte sich, und alle taten so, als ob sie kleine Kinder wären, die auf einer Krabbeldecke miteinander balgten. Eva hatte nie dazugehört. Aber hier und heute, an diesem Sommernachmittag, saß sie auf einer Hamburger Fähre, fuhr einen magischen Fluss hinauf, vor ihr kniete der schönste Junge der Welt und stützte wie nebenbei seine Ellbogen auf ihre Beine.
Daniel sagte: »Die meisten Mädchen würden ›Iiiih‹ kreischen, wenn ich von alten Leute rede, die aus dem Mund stinken.«
»Also denkst du, dass ich kein normales Mädchen bin?«
Daniel lachte wieder. »Im Gegenteil. Ich finde das toll.«
Eva schwieg verwirrt. War das jetzt ein Kompliment oder nicht? Am Ufer waren jetzt große, leuchtend weiße Villen zu sehen, die vom jahrhundertealten Reichtum der Hansestadt zeugten. Sie reiste mit Daniel durch eine vergangene alte Welt.
»Gleich sind wir in Teufelsbrück. Was wollen wir dort machen? Uns an einem Kiosk betrinken, Fischbrötchen essen oder durch den Jenischpark laufen?« Daniel stand auf.
Und wieder spürte Eva diesen Phantomschmerz – diesmal in ihren Beinen. »Was ist der Jenischpark?«
»Ein riesiger, schöner alter Park. Mit tollen Gebäuden.«
Eva schlüpfte in ihre Schuhe. Auf der nackten Haut fühlte sich das nasse Leder kalt und hart an. »Tolle Gebäude?«, fragte sie skeptisch.
Daniel schien das nicht zu stören. Er schob sich die Haare aus der Stirn. »Angelegt hat den Park ein Mann namens Jenisch. Der war im neunzehnten Jahrhundert Senator in Hamburg. In seinem Haus gingen Könige ein und aus.« Er machte wieder diese wegwerfende Handbewegung, die Eva so gefiel. »Aber das ist mir egal. Dieser Jenisch hat vor allem was von Kunst und Architektur verstanden. Das finde ich interessant. Bei seinem Haus – das können wir auch im Park ansehen – hat ihm Schinkel geholfen. So ein bekannter preußischer Baumeister.«
Eva sah Daniel nachdenklich an. Er redete wie ein Erwachsener, er verwendete Worte, die sie nie benutzte. Worte wie »Kunst und Architektur«, »preußischer Baumeister«. Und er sah dabei noch genauso nett und freundlich aus wie vorhin, als er ihre Füße süß fand.
Daniel zog sich das fast getrocknete Hemd gerade und sagte: »Wir sind gleich da.«
Eva stieg hinter ihm die Metallstufen hinunter. Am Anleger sah sie einen großen Platz mit Bushaltestellen. Rechter Hand lag ein kleiner Yachthafen. Daniel ging voran. Sie überquerten eine breite Straße.
»Die berühmte Elbchaussee!«, sagte Daniel mit Nachdruck.
Eva nickte. Sie wagte nicht zu fragen, warum diese Chaussee berühmt war. Daniel wirkte so selbstsicher und stolz – sie wollte daneben nicht wie ein dummes Huhn vom Land aussehen.
»Der Jenischpark«, verkündete Daniel als Nächstes und wies auf ein kunstvoll geschmiedetes Tor. Die Sonne schien wieder warm. Es roch nach frisch gemähtem Gras, nach Blättern und Wald. Eva dachte an die heißen Autositze. Doch die Hitze des Vormittags und das Geburtstagsessen bei Tante Hedwig waren weit fort.
Daniel schien sich gut im Park auszukennen. »Wir laufen jetzt geradeaus bis zu der kleinen Brücke, da gehen wir nach links, und dann siehst du als Erstes das Jenisch-Haus. Und ein bisschen weiter kommt das Barlach-Haus.«
»Du bist wohl häufig hier?«
Daniel schwieg für einen Moment. Dann warf er ihr einen schnellen Seitenblick zu. »Wir wohnen in Eppendorf. Das ist ein ziemlich schicker Stadtteil. Manchmal geht mir das alles auf die Nerven. Dann setz ich mich auf mein Fahrrad, fahr nach Altona, die Elbchaussee runter und hierher.«
Eva sah die hohen alten Bäume, die weiten Wiesen, sie wusste den Fluss hinter sich und den Himmel über sich. Sie dachte daran, wie sich zu Hause die Dorfbewohner auch drei Häuser weiter noch »in die Töpfe guckten«. Manchmal entkam sie dieser Enge, indem sie die Dorfstraße bis zum Ende und dann in den Wald lief. Ob Eppendorf in Hamburg oder ihr niedersächsisches Heimatdorf – manchmal musste man einfach mal fort. Sie atmete tief durch und sagte schlicht: »Das kann ich verstehen.« Dann fragte sie: »Was hast du mit Tante Hedwig zu tun?«
»Sie ist seit Jahren Mandantin meines Vaters. Ich mag sie. Weil ich schon als Kind gern zeichnete und malte, hat sie mir eine Staffelei gekauft. Und einmal den Kurs in einer Sommermalschule für Kinder finanziert. Der Kurs fand an der Nordsee statt – es hat zwei Wochen lang nur geregnet.«
»Meinst du, dass sie sauer auf uns ist, weil wir abgehauen sind?«
Daniel
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