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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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scheu, jungenhaft. Er setzt noch einmal an: »Für mich war das Besondere, dass Daniel Männergespräche mit mir führte.«
    »Männergespräche?«
    Berger vermeidet, mich anzublicken. »Fußball. Sex. Politik. Das Übliche. Hier redet sonst jeder nur über Blutwerte und so einen Dreck. Daniel blieb normal – in diesem Wahnsinn. Wenn man hier ist, dann spielt doch Sex keine Rolle mehr. Hier ist man weder Mann noch Frau, hier ist man krank. Man hat Krebs. Und Krebs heißt Tod, und Tod ist nicht sexy. Hier ist man ein Neutrum.« Ein bitterer Zug spielt um seine Lippen. »Daniel war das wurscht. Er hat immer von uns als den zwei Kerlen gesprochen. ›Wollen wir zwei Kerle jetzt mal auf den Putz hauen?‹ Und dann sind wir ins Schwesternzimmer und haben behauptet, wir könnten nicht allein auf die Toilette und bräuchten dringend Hilfe. Oder einmal hat Daniel das Radio eingeschaltet, das Licht ausgemacht und eine Kerze angezündet. Dann hat er geklingelt, und als die Nachtschwester kam, hat er sich verbeugt und sie um einen Tanz gebeten.« Svens Gesicht verzieht sich zu einem Lächeln. Ich erwidere es.
    »Ich habe einmal mit ihm im Regen vor einer Bushaltestelle Walzer getanzt.«
    Berger nickt. »Das klingt nach Daniel.«
    »Und die Liebe? Haben Sie über Liebe geredet?« Bergers Gesicht verschließt sich. Wieder steigt eine leichte Röte in seine Wangen. Schließlich blickt er mich direkt an. Um seine dunkelblauen Augen sehe ich jetzt einen feinen dunklen Rand. Seine Pupillen sind sehr groß. Er mustert mich eindringlich. »Ja, manchmal haben wir auch von Liebe geredet.« Er steht langsam auf, und als ich mich ebenfalls erhebe, nimmt er dankbar meinen Arm in Anspruch, um sich aufzustützen. Wir gehen langsam zum Haus zurück.
    Auf dem Weg erzähle ich ihm von der Grabrede und erwähne das Treffen von Daniels Freunden in der Wohnung am nächsten Dienstag. »Möchten Sie nicht auch kommen?«, frage ich. »Das heißt, wenn es Ihnen möglich ist.«
    »Gern. Dürfte ich mir wohl auch etwas zur Erinnerung mitnehmen?«
    »Ohne Frage. Was würden Sie denn haben wollen?«
    Seine Antwort kommt prompt. »Nur ein Buch. Ich weiß den Titel nicht mehr, aber ich würde es wiedererkennen, wenn ich es sehe. Es hatte ein ziemlich kitschiges Bild auf dem Einband. Ein hübsches Mädchen in altmodischer Kleidung.«
    Wir sind jetzt wieder in seinem Zimmer angekommen, und ich helfe ihm, sich hinzulegen. Während ich die Decke glattstreiche, frage ich: »Worum geht es in dem Buch?« Berger zieht die Schublade seines Nachttischs auf und holt ein kleines Notizbuch heraus. Er blättert darin und sagt: »Ich bin kein Typ, der etwas schreibt. Und lesen war auch nicht mein Ding.«
    Da fällt mir zum ersten Mal ein, ihn nach seinem Beruf zu fragen.
    »Meine Eltern haben eine Fleischerei.« Nachdenklich sieht er auf das Notizbuch in seinen Händen. »Ohne die Krankheit hätte ich vieles nicht kennengelernt – oder besser: viele Leute. Wie Daniel oder Hubertus beispielsweise. Die haben mir Bücher mitgebracht, und ich habe zum ersten Mal kapiert, wie schön Worte sein können.« Er hat die richtige Seite gefunden.
    »Das hier stand in Daniels Buch.« Ich merke ihm an, dass er verlegen ist, aber er zwingt sich und liest mit leiser Stimme: »Nur einmal, einmal nur hob sie den Blick/Und wurde rot: schnell, süß, seltsam/Sie sah: Mein Blick traf ihren.«
    Wieder ist es lange still. Dann sage ich: »Von wem ist das?«
    Berger schüttelt den Kopf. »Das habe ich mir nicht aufgeschrieben. Es stand in dem Buch von Daniel. Es ist ein Zitat, das der Schriftsteller verwendet hat.« Berger hebt den Kopf und sieht mich an. »Daniel hat mir das vorgelesen und gesagt, dass es im Leben darum geht, einmal solch einen Blickwechsel zu erleben. Er hat es mir erklärt: Es geht natürlich nicht nur um den Blickwechsel zwischen zwei Menschen.« Seine Stimme klingt eifrig, wie die eines Schülers, der etwas auswendig gelernt hat und vortragen möchte.
    Mein Brustkorb fühlt sich plötzlich so an, als ob ich eine zu enge Jacke trage.
    Berger räuspert sich und fährt fort: »Es geht darum, hat Daniel gesagt, dass dich ein anderer Mensch erkennt, tief in dich hineinsieht. So wie dieser Mann, der das Gedicht geschrieben hat, sich von dieser Frau erkannt gefühlt hat.« Er klingt atemlos nach dieser langen Erklärung. Die Stille im Zimmer ist wie ein zarter, kühler Schleier, der uns beide umhüllt.
    Berger schweigt so lange, dass ich ein wenig zusammenschrecke, als er den

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