Erdbeermond: Roman (German Edition)
nach Sonnenuntergang bei Vollmond machen«, sagte Mackenzie.
»Am besten während eines Gewitters«, sagte Nicholas. »Wegen der Erdanziehung.«
»Nicholas, ich bin nicht in der Stimmung für deine hirnrissigen Ideen!«
»Nein, nein«, hörte ich verschiedene Stimmen, »das ist keine hirnrissige Idee.«
»Was sind hirnrissige Ideen?«, hörte ich Carmela fragen.
»Es gibt eine wissenschaftliche Erklärung dafür«, sagte Nicholas. »Die Toten befinden sich auf Wellenlängen im Äther, die viel höhere Frequenzen haben als unsere, deshalb können wir sie auf einem Band hören, aber nicht, wenn sie mit uns direkt sprechen.«
Ich fragte: »Hast du es mal versucht?«
»Ja, sicher.«
»Und dein Dad hat mit dir gesprochen?«
»Ja, sicher. Es war nicht so leicht, ihn zu hören. Manchmal muss man das Band schneller oder ganz langsam abspulen, wenn man es abhört.«
»Ja, manchmal sprechen sie ganz schnell«, sagte Barb. »Und manchmal gaaanz, gaaanz laangsaam. Man muss sehr genau zuhören.«
»Ich schicke dir eine Mail mit den Anweisungen«, sagte Nicholas.
»Hast du das mal versucht?«, fragte ich Mitch.
»Nein, aber ich hatte ja dank Neris Hemming mit Trish gesprochen.«
»Wann ist wieder Vollmond?«, fragte Mackenzie.
»Ist gerade vorbei«, sagte Nicholas.
»Ach, zu dumm!«, sagten alle einhellig. »Aber bis zum nächsten sind es keine vier Wochen. Du kannst es ja dann versuchen.«
»Okay. Danke. Bis nächste Woche dann.«
Ich ging und fragte mich, ob Mitch wohl hinter mir herkommen würde.
Er war bei mir, bevor ich beim Aufzug war. »He, Anna, hast du jetzt etwas vor?«
»Nein.«
»Hast du Lust, noch was zu machen?«
»Zum Beispiel?« Ich war neugierig, was er vorschlagen würde.
»Wie wär’s mit dem MoMA?«
Warum nicht? Ich lebte seit drei Jahren in New York und war noch nie im Museum of Modern Art gewesen.
Das Zusammensein mit Mitch hatte viele der Vorteile des Alleinseins – nicht fortwährend lächeln zu müssen, falls er sich beim Anblick meines wahren Gesichts unbehaglich fühlen würde –, ohne dass man tatsächlich allein war. Wir bewegten uns zügig von einem Bild zum nächsten und redeten kaum. Manchmal waren wir in verschiedenen Räumen, doch verbunden durch einen unsichtbaren Faden.
Als wir uns alles angesehen hatten, guckte Mitch auf die Uhr.
»Sieh mal an!« Er klang zufrieden und hätte beinahe gelächelt. »Das hat zwei Stunden gedauert. Der Tag ist fast vorbei. Gute Woche, Anna, bis nächsten Sonntag.«
»Anna, nimm ab. Ich weiß, dass du zu Hause bist. Ich bin vor der Tür und muss mit dir sprechen.«
Das war Jacqui. Ich nahm den Hörer ab. »Was ist passiert?«
»Lass mich rein.«
Ich drückte auf den Öffner und hörte, wie sie die Treppe raufstapfte. Sekunden darauf stürzte sie aufgelöst in die Wohnung, das Gesicht umwölkt.
»Ist jemand gestorben?« Das war jetzt immer meine Sorge.
Sie hielt auf der Stelle inne. »Eh, nein.« Ihr Gesicht veränderte sich. »Nein, es ist … einfach … etwas Normales.«
Plötzlich war sie böse auf mich. Was immer passiert war, für sie war es immens wichtig, und ich hatte es zu einer Lappalie gemacht, weil mein Mann gestorben war, und das konnte niemand überbieten.
»Entschuldige bitte, Jacqui, es tut mir Leid, komm rein und …«
»Nein, mir tut es Leid, dass ich dir Angst gemacht habe …«
»Na, gut, es tut uns beiden Leid, erzähl mir, was passiert ist.«
Sie saß auf dem Sofa und beugte sich nach vorn, die Unterarme hatte sie auf die Oberschenkel gelegt, die Knie hübsch zusammengepresst. So sah sie haargenau wie die Pixar-Schreibtischlampe in den Zeichentrickfilmen aus. Wäre sie plötzlich durchs Zimmer gehoppelt, hätte selbst ihre eigene Mutter den Unterschied nicht erkennen können.
Sie starrte in die Ferne und verharrte so eine ganze Weile lang schweigend.
Dann sprach sie. Ein Wort. »Joey.«
Na, endlich konnte ich Mum davon erzählen.
»Oder wie ich ihn nenne«, fügte sie hinzu. »Grummel-Joey.« Sie seufzte schwer. »Ich war gerade bei ihm.«
»Was habt ihr gemacht?«
»Scrabble gespielt.«
Scrabble! Am Sonntagnachmittag! Es gab mir einen leichten Stich, weil ich ausgeschlossen war. Aber konnte ich es ihnen vorwerfen? Sie waren es leid, mich immer wieder einzuladen und lauter Absagen zu bekommen.
»Ich hatte ihn gar nicht angeguckt, nur aus dem Augenwinkel, und plötzlich dachte ich, er sieht aus wie … wie …« Sie sprach nicht weiter, atmete raspelnd und unter Tränen ein und stieß hervor:
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