Gefühle zu erkennen geben wollte.
»Sie hatte keinen leichten Tod, nicht wahr?«, sagte Neris sanft.
»Nein, Madam. Sie hatte Krebs. Sie hatte fürchterliche Schmerzen.«
»Aber jetzt hat sie keine Schmerzen. Der Ort, wo sie jetzt ist, ist ›besser als Morphium‹, sagt sie mir. Sie möchte, dass ich Ihnen sage, sie hat Sie lieb und Sie sollen ein guter Junge sein, Ray.«
Die Tränen liefen Ray über die roten Wangen, und die Kamera richtete sich auf verschiedene andere Menschen, die auch weinten.
»Danke, Madam«, sagte Ray mit heiserer Stimme und setzte sich, und die Leute um ihn herum klopften ihm auf die Schulter und schüttelten ihm die Hand.
Die nächste Einstellung zeigte die Zuschauer, die in das Foyer der Halle strömten und sagten: »Ich habe keine Angst zuzugeben, dass ich dieser Frau nicht traute. Und ich bin nicht zu stolz zu sagen, dass ich mich geirrt habe.«
Eine forsche, laute New Yorker Stimme war zu hören: »Unglaublich. Ich meine, einfach unglaublich.«
Jemand anders sagte: »Beeindruckend«, und eine Frau: »Ich habe eine Nachricht von meinem Mann bekommen. Ich bin so erleichtert, dass es ihm gut geht. Danke, Neris Hemming.«
Meine Erregung stieg in fieberhafte Höhe. Ich würde mit ihr allein sprechen, eine halbe Stunde lang. Eine halbe Stunde , in der ich mit Aidan sprechen könnte.
DREISSIG
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[email protected] Thema: Woche in der Hölle
Gott, Anna, die Woche war schrecklich. Mum war letzten Samstag in Knock und hat Weihwasser in einer Evian-Flasche mitgebracht und in die Küche gestellt. Sonntagmorgen war ich durstig wegen exzessiven Alkoholkonsums am Abend zuvor, und stürzte das Wasser runter, bevor ich merkte, dass es widerlich schmeckte und seltsame Dinge drin herumschwammen.
Zwei Stunden später: schreckliche Krämpfe, brülle nach Eimer. Kotze, was das Zeug hält. Sterbe. Erbreche Essen, Galle, die ganze Palette. Abartig. Schlimmer als jeder Kater. Liege im Bad auf Fußboden, krümme mich, bete um Erlösung.
Montagmorgen, kotzte immer noch volles Rohr. Unmöglich, zehn Stunden in Dettas Gebüsch zu sitzen. Arzt kam, konstatierte schlimme Vergiftung, prophezeite vier, fünf Tage außer Gefecht. Rief Colin an, erzählte ihm traurige Geschichte. Er lachte, sagte, er würde Harry Bescheid sagen, aber es würde Harry nicht gefallen.
Zwei Sekunden später ruft Harry an, brüllt rum, er würde mir ein »ausgesprochen großzügiges Honorar« zahlen (das stimmt), und wenn nun heute ausgerechnet der Tag wäre, an dem Detta sich mit Racey O’Grady ein Hotelzimmer nimmt, und ich wäre nicht da, um Zeuge zu sein, das würde ihn sehr böse machen, und ich wüsste ja, was mit Leuten passierte, die ihn böse machten. (Die werden am Billardtisch festgenagelt, falls du es vergessen hast.) Ich sagte also: »Einen Moment bitte«, ging aufs Klo und kotzte, kam zurück und sagte: »Ich kümmere mich drum.«
Was blieb mir übrig? Ich musste Mum hinschicken. Sie war sowieso richtig scharf darauf, Dettas Klamotten und ihr Haus zu sehen. Sie zieht also los, ausgestattet mit Fernglas, belegten Broten und einem Pappbecher, für alle Fälle, und der Zufall wollte es, dass Detta sich am Donnerstag öffentlich mit Racey O’Grady traf. (Vielleicht war es falsch, Harry Big für verblendet und paranoid zu halten.) Sie trafen sich in einem Restaurant in Ballsbridge – vornehmer geht es nicht. Waren sogar so umsichtig, sich einen Fensterplatz zu nehmen. Mum machte eine Menge Fotos mit dem Handy, wir haben sie zu Hause ausgedruckt, mussten aber feststellen, dass Mum nicht weiß, wie man das Ding als Fotoapparat benutzt. Sie hat die Fotos mit der falschen Seite des Handys gemacht, sodass wir lauter schöne Nahaufnahmen von ihrem Rock und ihrem Ärmel und der einen Gesichtshälfte haben.
Ein schlimmer, abartig dunkler Moment. Dachte wirklich, jetzt würde ich gekreuzigt. Überlegte, außer Landes zu gehen, dachte dann, ach was, so schlimm kann die Kreuzigung nicht sein. Rief Colin an, der mich zu Harry brachte, der überraschend gelassen blieb. Hat nur geseufzt und lange in sein Glas Milch gestarrt und dann gesagt: »Solche Sachen passieren auch in den besten Organisationen. Machen Sie weiter mit der Überwachung.«
Aber um ehrlich zu sein, Anna, ich hatte genug davon. Die Arbeit ist zu langweilig, abgesehen von den Momenten, wo ich befürchten muss, am Billardtisch festgenagelt zu werden. Das einzig Interessante ist Colin.
Ich sagte also zu Harry: Nach Mums