Erdbeermond: Roman (German Edition)
glaube, er würde gern von dir hören. Er hat sich große Sorgen gemacht.«
Ich wollte vor Scham in den Boden versinken, als ich den Hörer nahm.
Eine verschlafene Stimme meldete sich.
»Kevin, ich bin’s, Anna. Es tut mir so Leid, wirklich. Es tut mir so Leid, dass ich dich einfach im Hotel habe sitzen lassen. Ich bin ausgerastet.«
»Das ist okay«, sagte er. »Ich bin ja auch ausgerastet. Mich haben sie aus Pottery Barn rausgeschmissen. Kannst du dir das vorstellen? Pottery Barn? Ich habe zu den Leuten gesagt: ›Ich bin schon aus besseren Läden rausgeschmissen worden.‹«
Ich wartete darauf, dass er anfing zu schimpfen, was für eine gemeine Ziege Janie war und dass ich um das Sorgerecht für den »kleinen Jack« kämpfen sollte, aber er tat es nicht. Offenbar hatte sich die Situation mit Janie geändert und war über Nacht ganz zivilisiert geworden, und alle waren gute Freunde.
»Wir haben den kleinen Jack gestern Abend besucht, ich und Mom und Dad, und er ist so ein süßes kleines Kind. Ist jetzt schon ein Red-Sox-Fan. Heute Abend besuchen wir ihn wieder. Komm du doch auch.«
»Nein.«
»Aber …«
»Nein.«
»Und am Wochenende?«
»Nein.«
»Oh. Also gut, Anna, lass dir Zeit. So viel du brauchst. Aber er ist wirklich richtig süß. Und lustig. Ich habe zu Janie gesagt: ›Ich nehme ein Bier‹, und er hat gesagt: ›Ich nehme ein Bier‹, mit genau der gleichen Stimme. Hätte ich sein können. Und er hat einen Bären …«
»Tut mir Leid, Kevin, ich muss jetzt aufhören. Mach’s gut.«
Ich legte auf, und Rachel sagte: »Vielleicht möchtest du dich bei Angelo entschuldigen.«
Angelo! »Oh Gott!« Ich schlug die Hände vors Gesicht. »Ich war des Wahnsinns. Er hat sich geweigert, mit mir zu schlafen.«
»Natürlich hat er das. Wofür hältst du ihn denn?«
»Für einen normalen Mann. Da fällt mir ein, hat Joey sich mit Jacqui versöhnt?«
»Nein. Ich glaube nicht, dass er das tun wird.«
»Was?« Ich dachte, er würde ein paar Tage brauchen, um sich an die Neuigkeit von der Schwangerschaft zu gewöhnen, und dann zu Jacqui eilen und sie anbetteln, dass sie ihm verzeiht.
»Scheißkerl«, zischte ich.
VIER
Was mir deutlich in Erinnerung ist aus dieser Zeit – alle meine Knochen taten mir weh, jeder einzelne, und schlimmer als je zuvor. Auch meine Hände und Füße taten mir weh. Ich war in mich gekehrt und grüblerisch, wie ein weiblicher Joey, nur ohne die dummen Rockerklamotten. Ich räumte alle Fotos von Aidan weg – die an der Wand, die auf dem Fernseher, sogar die in meiner Brieftasche – und verfrachtete sie in die staubige Einöde unter dem Bett. Nichts sollte mich an ihn erinnern.
Der einzige Mensch, mit dem ich zusammen sein wollte, war Jacqui, und die konnte nicht aufhören zu weinen.
»Das sind nur die Hormone«, sagte sie zwischen den Schluchzern. »Mit Joey hat das nichts zu tun. Den habe ich längst überwunden. Es sind nur die Hormone.«
Wenn ich nicht mit Jacqui zusammen war, ging ich einkaufen und brachte das Geld hemmungslos unter die Leute. Ich hatte gerade mein Gehalt bekommen und gab alles aus, auch das Geld für die Miete. Es war mir egal. Ich bezahlte ein Vermögen für zwei anthrazitgraue Kostüme, ein Paar hochhackige schwarze Schuhe, Strumpfhosen und eine Handtasche von Chloé. Ein absolutes Vermögen. Jedes Mal, wenn ich wieder meine Unterschrift unter eine Rechnung setzte, dachte ich an die Zweieinhalbtausend, die ich an Neris Hemming überwiesen hatte, und wand mich innerlich. Ich sollte mich bei ihr melden, versuchen, mein Geld zurückzubekommen – obwohl es sicherlich irgendeine Klausel im Kleingedruckten gab, die besagte, dass ich kein Recht darauf hatte –, aber ich wollte nichts mit ihr zu tun haben. Ich wollte sie aus meinem Gedächtnis streichen. Und auf gar keinen Fall wollte ich einen neuen Termin; ich wusste, dass es alles Unsinn war. Mit den Toten sprechen? So ein Blödsinn!
An den Abenden guckte ich aus einer masochistischen Regung heraus Baseball im Fernsehen. Die World Series wurden ausgetragen: Die Red Sox spielten gegen die St. Louis Cardinals. Die Red Sox hatten seit 1919 – seit der Fluch von Babe Ruth auf ihnen lag – nicht gewonnen, aber ich wusste mit kalter, unerschütterlicher Gewissheit, dass dieses Jahr ihre Pechsträhne beendet sein würde. Sie würden gewinnen, weil der Mistbock so blöd gewesen war zu sterben und es jetzt nicht sehen konnte.
Die Sportkommentatoren, die Zeitungen und die Red-Sox-Fans waren völlig
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