Erdbeermond: Roman (German Edition)
bin. Außerdem könnten Sie auf mich schießen.
Sie: Das stimmt. Also …
Der Mund blieb ihr offen stehen. Sie guckte zur Treppe rüber. Ich auch. Da stand Tessie O’Grady, lächelte, in Strickjacke und Hausschuhen. Und mit Pistole.
Tessie (in erfreutem Ton): Mädels! Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr hier. Nicht, seitdem wir damals die Foleys kaltgemacht haben, einen nach dem anderen.
Sie sah sich beglückt um: Ah, das waren glückliche Zeiten.
Sie entdeckte den Stuhl: Ist das etwa derselbe Stuhl? Oh, tatsächlich! Wie schön!
Detta (mit erstarrter Miene): Woher wussten Sie, wo Sie mich finden würden?
Tessie: Welchen Ort würdest du sonst wählen? Du hast keine Fantasie. Noch nie gehabt. Mach weiter, Detta. Ich glaube, du warst gerade dabei, dem Fräulein mit der Sextanerblase zu erzählen, dass Racey O’Grady dir nichts bedeutet.
Detta: Nein, was ich sagen wollte …
Tessie: Ich sage dir, was du sagen wolltest. Du hast ihn benutzt. Und ich bin sehr böse auf dich, Detta. Du wolltest den armen Harry wild vor Eifersucht machen und hast Racey benutzt. Harry hätte Racey heute beinahe umgebracht.
Detta: Racey geht es gut. Ihm ist nichts passiert. Dafür habe ich gesorgt.
Tessie: Aber er ist ziemlich enttäuscht. Er hatte gedacht, wenn ihr zwei eine Beziehung habt, würde das etwas bedeuten.
Detta: Ja, Sie haben meinen Dad umgelegt.
Tessie (schnalzt mit der Zunge): Wer wird denn da einen Groll hegen?
Detta: Warum hauen Sie nicht einfach ab und lassen mich die Kleine hier erledigen?
Ich: Warum wollen Sie mich umbringen?
Detta: Wegen Colin.
Ich: Colin? Was zum – ? Oh Gott, Colin ist Ihr Sohn.
Detta: Colin ist nicht mein Sohn. Colin ist mein Geliebter.
Ich: Ihr GELIEBTER? Aber er hat mit mir geschlafen!
Detta: Deswegen werde ich Sie umbringen.
Ich dachte, sie muss unter schweren Wahnvorstellungen leiden – Colin soll ihr Geliebter sein? Das glaube ich nun wirklich nicht! – Da fängt Tessie an zu reden.
Detta, sagte sie, da ist noch etwas, weshalb ich dir böse bin. Ich habe einen Freund bei der Bank, einen sehr netten Mann, einen sehr, sehr netten Mann, er ist Mitglied bei Opus Dei und baut sehr schöne Modelle von Opernhäusern aus Lutscherstielen – ungewöhnliches Talent! –, und der hat mir erzählt, dass du heute Nachmittag verschiedene Konten aufgelöst und die Gelder nach Marbella transferiert hast. Du willst dich absetzen, stimmt’s?
Detta (mit gesenktem Kopf): Das stimmt, entschuldigen Sie, Tessie. Ich habe das Interesse verloren, Tessie. Ich hätte nie geglaubt, dass ich das einmal sagen würde, aber all das hier … ich weiß nicht … ich habe keinen Nerv mehr dafür.
Tessie (hilfsbereit): Du brauchst ja nicht mit dem Schutzgeld weiterzumachen. Du könntest Waffen übernehmen. Oder Mädchen! Du könntest dir ein schönes Etablissement aufbauen, du hast einen guten Geschmack, das war schon immer eine deiner Stärken. Du magst die teuren Sachen.
Detta: Ach, es ist nicht die Arbeit, Tessie. Ich ertrage die Winter nicht mehr. Ich mag die Sonne. Und Colin will keine krummen Dinger mehr drehen. Wir überlegen, ob wir eine Bar eröffnen. Vielleicht mit einem U2-Thema, also mit U2-Memorabilien, Gitarren, Programmen …
Tessie (mit Josef-Mengele-Blick): Ich weiß sehr wohl, was eine Themen-Bar ist, Detta, aber was ist mit unserem Abkommen?
Ich: Welchem Abkommen?
Detta: Sagen Sie es ihr nicht!
Tessie: Warum nicht?
Detta: Weil dies kein amerikanischer Film ist, bei dem am Ende alles erklärt wird.
Ich: Ich will es wissen.
Tessie: Ich erzähle es ihr, Detta.
Detta: Das machen Sie nur, um mich zu ärgern.
Tessie: Zu ärgern! Du hättest beinahe meinen Sohn umlegen lassen, heute Nachmittag! Pass auf, Sextanerbläschen. Detta hatte mir und Racey versprochen, dass Harry bald von der Bildfläche verschwinden würde – obwohl sie mir nicht erzählt hat, dass sie Racey dabei fast umbringen würde –, und dass sie sich mit Colin zusammentun würde. Die O’Gradys wollten die neue Kombination unterstützen, im Gegenzug für eine Neuverhandlung der Grenzen zu unseren Gunsten. Jetzt lässt sie uns im Stich.
Detta (verärgert) : Was kümmert es Sie? Sie müssen mehr Geld haben als Gott!
Tessie: Es ging nicht nur ums Geld. Es ging … (kleine Pause) … es ging um die Aufregung. Es ist schon seit Ewigkeiten kein Blut mehr geflossen … eine Neuaufteilung von Dublin, die Aufregung der Straßenkämpfe … ich hatte mich darauf gefreut …
Ich: Würden Sie meine Mentorin sein?
Tessie
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