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Erde

Erde

Titel: Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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Sterblichkeit gewannen die Menschen auch die zusätzliche Last eines wilden, ungezähmten, prächtigen neuen Gehirns, eines Organs, das tagsüber Geschicklichkeit und Planung bot, aber auch fähig war, hinter dem flackernden Feuerschein mittels schlauer Dämonen sich im Detail die morgige Jagd vorzustellen oder die Mißhelligkeit des nächsten Tages oder die heimliche Hinterlist des Nachbarn. Ein Geist, fähig der Erkenntnis des Todes… der auch hilflos zusah, wie dieser den Mut eines Kameraden besiegte oder die verwelkte Jugend einer Frau oder die nie erkannte Zuneigung eines Babys… und der in diesen Momenten die Fährte eines Widersachers erkannte, der schlimmer war als jeder Löwe. Des letzten, unversöhnlichen Feindes.
    Was kommt dabei heraus, wenn man äußerste Ignoranz mit einem Geist vermischt, der imstande ist zu fragen: »Warum?« Frühe menschliche Gesellschaften haben sich an vielerlei Formen von Aberglauben, heidnischen Hierarchien und zahllose bizarre Weltbilder geklammert. Manche Volksvorstellungen waren harmlos oder sogar pragmatisch und weise. Andere bestanden auf einer verbissenen ›Wahrheit‹… weil nicht daran zu glauben unbedingt zu etwas viel Schlimmerem führte als Irrtum… Ungewißheit.
    Nelson empfand eine starke Trauer wegen seiner Ahnen – Generation auf Generation von Frauen und Männern, jede voll eines Gefühls von Selbstwert wie seine eigene. Der Gedanke daran ließ sein Leben ebenso vergänglich erscheinen wie das wogende Gras der Savanne oder die Mondstrahlen, die gleichermaßen die Weizenfelder und seinen Geist erhellten.
    Damals, als die Menschen in kleinen Gruppen umherschweiften, als die Wälder endlos schienen und die Nacht allmächtig, glaubte man allgemein, daß auch andere Kreaturen denken könnten und ihre Geister mit Lied und Tanz zu gewinnen wären. Aber später wurden die beängstigenden Wälder etwas zurückgedrängt. Tempel aus Lehmziegeln schimmerten und Bibeln fingen an zu verkünden: »Nein, die Welt war geschaffen, damit der Mensch sie nutzen sollte.« Die Tiere waren seelenlos und standen zu seiner Verfügung.
    Noch später kam eine Zeit, da Ackerland und Städte mehr Platz einnahmen als der Wald. Überdies entfalteten sich schließlich die Gesetze der Natur vor wißbegierigen Geistern. Prinzipien wie Impuls hielten die Planeten auf ihrer Bahn, und weise Männer sahen das Weltall wie ein großes Uhrwerk an. Menschen waren wie andere Kreaturen nur Räder in einem Getriebe, Leibeigene einer unüberwindlichen Physik.
    Das Tempo der Veränderungen nahm zu. Wälder wurden selten, und eine vierte Haltung kam auf. Als die Erde unter Städten und Pflügen stöhnte, wurde Schuld das neueste Thema. Die besten Denker des Homo sapiens lernten, ihre eigene Species als eine Pest zu sehen. Das Schlimmste, was je einem Planeten zugestoßen war.
    Nelson sah diese sich entfaltenden Weltbilder, die seine Lehrerin ihm gezeigt hatte, als eine Reihe von Schritten, die ein seltsames, anpassungsfähiges Tier getan hatte. Eines, das schrittweise – sogar widerstrebend – Mächte erworben hatte, die es Göttern vorbehalten glaubte.
    Jeder ›Zeitgeist‹ schien den Männern und Frauen seiner Epoche angemessen zu sein, und alle waren sie heute obsolet. Jetzt versuchte die Menschheit zu retten, was sie konnte, nicht aus Schuldgefühl, sondern um zu überleben.
    Mondschein brachte Nelson die hübsche junge Entomologin in Erinnerung, die so herausfordernd gelächelt hatte, während sie über Termiten plauderte und die dann, ehe sie Gute Nacht gesagt hatte, so schüchtern gebeten hatte, seine Narben sehen zu dürfen.
    Er entsann sich, wie seine Brust sich blähte und das Blut in seinen Adern merklich wärmer geworden war, als er die Ärmel hochschlug, um ihr zu zeigen, daß die Geschichten, die sie gehört hatte, wahr waren. Daß er, anders als andere Jugendliche, die sie kannte, wirklich ›in der Wildnis‹ um sein Leben gekämpft und einen ehrenvollen Sieg errungen hatte.
    Nelson erinnerte sich, daß er gehofft und begehrt hatte. Er verlangte nach ihr – und in einer Weise, die seit Millionen von Jahren fundamental mit Fortpflanzung zu tun hatte. Oh, gewiß, heute war dieser Teil davon fakultativ. Es wäre besser, wenn die Menschen ihre Zahl kontrollierten. Aber letztlich hatten Liebe und Sex doch mit der Fortdauer des Lebens zu tun, wenn auch nur vorgeblich.
    Das alte Spiel. In ihm brannte ein Verlangen, sie zu halten, sich mit ihr hinzulegen, sie zu veranlassen, seinen Samen zu

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