Erde
Beleidigungen ohne Tätlichkeiten. Nicht, daß es hier auf Gewinnen von Punkten angekommen wäre. Hartgesottene Gaianische Weiber pflegten schwer beeindruckbar zu sein. Zum Beispiel dies hier.
»…Seht ihr nicht ein, daß Wiederaufforstung von Hartholzbäumen in Amazonien viel wichtiger ist, als Koniferen unten in Terra del Fuego oder Antarctica anzupflanzen? Das sind neue Ökologien, noch zart und schlecht verstanden. Ihr Siedler seid viel zu ungeduldig. Nun, bis diese neuen Gebiete richtig verstanden und für den Einzug von Menschen bereit sind, könnte die Hauptschlacht, nämlich die Rettung der Erde, verloren sein.«
»Ich verstehe, worauf es euch ankommt«, pflichtete Remi bei. Im Bemühen, ihr Entkommen gut hinzukriegen, nickten er und Roland aufmerksam, bis die Ra-Boys außer Sicht waren. Dann lächelte und nickte Remi noch weiter wegen des herzförmigen Gesichtes und schönen Teints der Sprecherin. Ihm gefiel auch, was er unter dem Umhang von ihrer Figur erkennen konnte. An einer Stelle deponierte er theatralisch den Müll aus seiner Tasche in einer braunen Recyclingtonne, um den Eindruck zu erwecken, daß das Sammeln von Abfall seine übliche Gewohnheit wäre. Damit gewann er eine billigende Unterbrechung ihrer Lektion.
Als sie an einer Reihe von Überlebenden der Krebsseuche in Kapuzen und Rollstühlen vorbeikamen, ließ er einige Dollarmünzen in ihre Spendenschalen gleiten und erhielt wieder ein Lächeln zur Belohnung.
Ermutigt nahm er dann noch ein Bündel kleiner Broschüren an, bis sie endlich außer Atem kam, als sie unter den superleitenden Schienen der den Park durchquerenden Schnellbahn durchgingen. Dann kam ein wirklich glücklicher Moment. Ein ankommender Zug ergoß junge Leute in Schuluniformen auf den Weg, die brüllten und herumrannten. Die Kaskade der Kinder zerteilte die enge Formation der Gaianerinnen. Remi und die junge Frau wurden in den Wirbeln gefangen und unter einem Pfeiler der Schnellbahn an die Seite gedrängt. Sie sahen einander an und lachten gemeinsam. Ihr Lächeln wirkte viel wärmer, wenn sie ohne ihre den Planeten rettende Schar war.
Aber Remi wußte, daß das nur ein Moment sein würde. Binnen Sekunden konnten die anderen sie für sich reklamieren. Also sagte er ihr, so beiläufig er konnte, daß er sie gern persönlich treffen würde und fragte sie nach ihrem Netzcode, um ein Rendezvous zu vereinbaren.
Sie ihrerseits begegnete seinem Blick mit seelenvollen braunen Augen und bat ihn honigsüß, sein Vasektomie-Zertifikat zu zeigen.
»Ehrlich«, fuhr sie offenbar aufrichtig fort, »könnte ich mich nicht für einen Mann interessieren, der so egoistisch ist, in einer Welt von zehn Milliarden Menschen darauf zu bestehen, daß seine Gene dringendst gebraucht werden. Wenn man nicht das Richtige getan hat, wie kann man da auf eine große Leistung oder Tugend verweisen, um zu rechtfertigen, daß…«
Ihre Worte verklangen in Verblüffung und trafen seinen Rücken, als Remi die Arme seiner Freunde ergriff und schnell wegging.
»Ich würde ihr etwas Wichtigeres zeigen als Gene!« knurrte Crat, als er die Geschichte hörte. Roland war nur etwas nachsichtiger. »In diesen hübschen kleinen Kopf ist verdammt zu viel Theorie hineingepackt. Stellt euch vor, derartig in die Privatsphäre eines Jungen einzudringen! Ich sage euch, das ist ein Vogel, der glücklicher und sehr viel ruhiger wäre als Frau eines Farmers.«
»Stimmt!« erklärte Crat. »Eine Bauernfrau hat, worauf es ankommt. In Patagonien gibt es reichlich Platz für eine Menge Kinder…«
»Oh, halt den Mund!« fauchte Remi. Sein Gesicht brannte noch vor Scham, die dadurch noch schlimmer wurde, daß das Mädchen offenbar nicht einmal gewußt hatte, was sie tat. »Denkt ihr, ich kümmere mich darum, was eine blöde NoAm GaKi denkt? Sie lehren sie bloß, wie man – was ist.«
Roland hielt Remi seine Armbanduhr vors Gesicht und klopfte auf den kleinen Bildschirm. Lichter zuckten, und der kleine Apparat ließ einen warnenden Ton erklingen.
Remi sah kurz hin. Sie wurden wieder abgetastet. Diesmal war es nicht das True-Vu, sondern ein echter Lauschangriff. »Irgendein dicker Hund mit langen Ohren hat es auf uns abgesehen«, meldete Roland ärgerlich.
So kam eines nach dem anderen! Remi fühlte sich wie ein Tiger im Käfig. Zum Teufel, sogar Tiger hatten heutzutage mehr persönliche Freiheit in den Überlebensarchen für wilde Tiere, als ein junger Bursche hier in Bloomington. Früher konnte man im Park Ruhe und
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