Erde
müßtest. Jedenfalls habe ich nicht versucht, euch bei einer Übertretung zu erwischen. Ich habe bloß gelauscht. Ich mag es, Menschen zuzuhören. Ich mag euch Jungs.«
Crat und Roland lachten über die Absurdität dieser Bemerkung laut los. Aber Remi empfand einen eigenartigen Schauer. Dem Knacker schien es wirklich ernst zu sein.
Natürlich sagte Professor Jameson immer, daß man nicht zu sehr verallgemeinern dürfe, »…denn ihr seid Clubmitglieder, und das wird auf eure Anschauungen über alles abfärben. Junge männliche Wesen tun das, wenn sie in Gruppenbindungen ›wir gegen sie‹ befangen sind. Sie müssen ihre Gegner stereotypisieren und entmenschlichen. Das Problem ist in diesem Teil der Stadt wirklich schlimm, wo der Konflikt zwischen jung und alt entartet ist…«
Jeder haßte Jameson, alle Kleinmädchen- und Knabenclubs, die nur deshalb in seiner Klasse blieben, weil ein Testat erforderlich war, um überhaupt auf eine Selbständigkeitskarte hoffen zu können… als ob die Hälfte der Kleinen das je schaffen würde. Mist!
»Ich mag euch, weil ich mich daran erinnere, welchen Weg ich selbst gegangen bin«, fuhr der Alte unerschüttert fort. »Ich denke noch daran, wie ich mich fühlte, als ob ich Stahl biegen könnte, Imperien stürzen, Harems vernaschen, Städte niederbrennen…« Er schloß einen Moment seine runzligen Lider; und als er sie wieder hob, fühlte Remi eine Gänsehaut den Rücken herunterrieseln. Der alte Kerl schien weit in Raum und Zeit zu schauen.
»Wißt ihr, ich habe wirklich Städte niedergebrannt«, erzählte er ihnen mit leiser, sehr ferner Stimme. Und Remi erkannte, daß er sich an Dinge erinnern mußte, die weit lebendiger waren als alles, was in seinem dürftigen Schatz von Erinnerungen zu finden war. Er wurde plötzlich von Neid ergriffen.
»Aber schließlich muß doch jede Generation ein Anliegen haben, nicht wahr?« fuhr der Alte fort. »Unseres war, die Geheimhaltung zu beenden. Darum kämpften wir gegen die Banker und Bürokraten und alle verdammten Sozialisten, daß sie alles an die Öffentlichkeit bringen sollten, ein- für allemal, und das ganze hinterhältige Schachern und Giga-Betrügen einstellen sollten.
Nur jetzt wirft unsere Lage andere Probleme auf. So pflegt es mit Revolutionen zu gehen. Als ich hörte, wie ihr Burschen laut von Privatsphäre geträumt habt – als ob die etwas Heiliges wäre –, Jesus, das hat mich an die Vergangenheit erinnert. Ich dachte wieder an meinen eigenen Papa! Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts pflegten Leute so zu reden, bis meine Generation den Schwindel durchschaute…«
»Privatsphäre ist kein Schwindel!« knurrte Roland. »Sie ist einfach Menschenwürde!«
»Jawohl«, fügte Crat hinzu. »Du hast kein Recht, jede Bewegung eines Menschen zu verfolgen…«
Aber der alte Mann hob besänftigend die Hand. »He, ich stimme zu. Zumindest teilweise. Was ich zu sagen versuche, ist, daß ich denke, meine Generation ist zu weit gegangen. Wir haben die Übel der Geheimnistuerei niedergeschlagen – von Nummernkonten und Insidergeschäften –, aber jetzt verurteilt ihr jungen Leute unsere Exzesse und setzt an deren Stelle eure eigenen.
Ganz ernsthaft – was würdet ihr Jungs tun, wenn ihr freie Hand hättet? Ihr könnt nicht einfach True-Vu und anderes technische Zeug verbannen. Ihr könnt den Geist nicht wieder in die Flasche zwingen. Die Welt hat eine Wahl gehabt. Laßt die Regierungen die Überwachungstechniken kontrollieren… und deshalb den Reichen und Mächtigen ein Schnüffelmonopol geben… oder laßt alle es haben. Laßt jeden jeden anderen beschnüffeln, einschließlich Ausspionierung der Regierung! Das ist mein Ernst, Leute. Das war die Wahl. Es gab einfach keine anderen Optionen.«
»Oho!« sagte Roland.
»Na schön, sagt es mir! Würdet ihr zu der Illusion sogenannter Geheimhaltungsgesetze zurückkehren, die allein den Reichen und Mächtigen ein Monopol auf Privatleben gaben?«
Crat machte ein finsteres Gesicht. »Vielleicht. Wenn sie ein… Monopol hätten, wären sie zumindest nicht so verflucht unverschämt. Die Leute könnten wenigstens so tun, als ob man sie in Ruhe ließe.«
Remi nickte, durch Crats kurze, schöne Äußerung beeindruckt. »Da ist etwas dran. Wer hat eigentlich gesagt, daß Leben nur eine Illusion wäre?«
Der Alte lächelte und sagte trocken: »Nur ein jeder Transzendentalphilosoph der Geschichte.«
Remi hob die Schulter. »Ach ja, der. Es lag mir auf der Zunge.«
Der alte Mann
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