Erde
umwandten, sahen sie die UNEPA-Beamtin in der Nähe stehen und an ihnen vorbei das aufgehäufte Elfenbein betrachten. Sie konnte nicht über vierzig Jahre alt sein, aber gerade jetzt waren die Sehnen an ihrem Hals so angespannt wie Bogensaiten, und sie sah ganz alt aus.
»Kommt mit mir, ich will euch Soldaten etwas zeigen.«
Sie folgten ihr vorbei an Kasten voller aufgespießter schimmernder Schmetterlinge, Aschenbecher aus Gorillahänden und Schemeln aus Elefantenfüßen, voller Holzversteinerungen und glitzernder Korallen, die ohne Zweifel aus Naturschutzgebieten gestohlen waren… bis hin zur Rückwand der künstlichen Höhle, wo zwei wirklich ungeheure Stoßzähne einen stehenden Bogen bildeten. Tigerfelle drapierten einen Schrank – aber was für einen! Eine aus dunklem Hartholz und Glas kunstvoll angefertigte Truhe, die Dutzende irdener Krüge enthielt.
Roland sah auf ihren Handrücken die Venen pulsieren. Die Rekruten verstummten, erschrocken vor so viel Haß, wie sie jetzt ausstrahlte. Nichts hier unten hatte sie auch nur halb so stark beeindruckt.
Roland fand den Mut zu fragen: »Was ist in den Krügen, Ma’am?«
Er sah an ihrem Gesicht, wieviel Kraft es sie kostete, gerade jetzt zu sprechen. Er fragte sich, ob er je imstande sein würde, über seinen Körper so viel Herrschaft auszuüben.
»Rhinozeros… horn«, sagte sie heiser. »Pulverisierter Narwalzahn… Walsperma…«
Roland nickte. Er hatte von solchen Dingen gehört. Alte Legenden behaupteten, daß so etwas das Leben verlängern könnte oder Potenz steigern oder Frauen brünstig werden lassen. Und weder Moral noch wissenschaftlicher Gegenbeweis schreckten Menschen davon ab, der Hoffnung nachzujagen.
»So viel! Es müssen ja hundert Kilos hier drin sein!« bemerkte Takka. Aber er trat zurück, als die UNEPA-Beamtin sich rasch zu ihm umdrehte mit einer Miene kalter Verzweiflung.
Sie flüsterte: »Sie verstehen nicht. Ich hoffte, wir würden noch viel mehr finden.«
Roland fand bald heraus, wozu Rekruten bei einer solchen Mission nützlich waren.
Sicher genug, dachte er, resigniert darüber, daß er gerade erst begonnen hatte, die Tiefen der Erschöpfung auszuloten, welche die friedenerhaltenden Kräfte für ihn noch in Reserve hatten. Wenn sie Stoßzähne von sechzig Kilo die steile Rampe hinaufwuchteten, wußte er und Gefreiter Schmidt, daß sie wichtige Teile in einer gut abgestimmten, hochwirksamen und schnell einsatzfähigen Streitmacht waren, deren weltweite Verpflichtungen von Pol zu Pol reichten. Ihr eigener Anteil war weniger spektakulär als jener der Inspektoren vor Ort, die Sibirien und Wyoming durchstöberten, um Waffenkontrollpakte durchzusetzen. Oder die mutigen paar, die wütende Milizen in Brasilien und Argentinien davon abhielten, sich gegenseitig die Kehlen durchzuschneiden. Oder selbst die Offiziere, welche die Beute dieses Abends etikettierten und inventarisierten. Aber, wie Korporal Wu ihnen wiederholt gesagt hatte, es dienen auch die, welche nur brummen und schwitzen.
Roland bemühte sich, bei der Arbeit mit Schmidt kein Unbehagen zu zeigen. Schließlich war der große, hagere Alpenjunge noch nicht einmal geboren gewesen, als der Helvetische Krieg soviel von Mitteleuropa verwüstete. Und man kann sich ja auch seine Herkunft nicht aussuchen. Roland bemühte sich, ihn als Eingeborenen von ›Westösterreich‹ zu akzeptieren und die Vergangenheit zu vergessen.
Immerhin sprach Schmidt recht gut Englisch. Tatsächlich besser als die meisten von Rolands alter Gang in Bloomington. »Wohin schaffen sie dieses Zeug?« fragte sein Partner den Piloten eines der Minizeps, als sie draußen eine zweiminütige Atempause einlegten.
»Sie haben in der ganzen Welt Lagerhäuser«, sagte der schwedische Unteroffizier. »Wenn ich euch davon erzählte, würdet ihr mir nicht glauben.«
»Versuch es doch mit uns!« entgegnete Roland prompt.
Die blauen Augen des Fliegers schienen weit in die Ferne zu blicken. »Nehmt das, was ihr in diesem Grab gefunden habt, und multipliziert es mit tausend!«
»Schiet!« seufzte Schmidt. »Aber…«
»Oh, etwas von diesem Zeug wird nicht auf Lager gehen. Zum Beispiel das Elfenbein. Sie werden Isotopenetiketten implantieren, so daß jedes Stück chemisch ein Unikat ist; dann werden sie es verkaufen. Die Zoo-Archen ernten jetzt Elefantenstoßzähne wie auch die afrikanischen Parks, damit die Biester nicht Bäume entwurzeln oder Wilddiebe anlocken. Diese Politik ist zu spät gekommen, um den
Weitere Kostenlose Bücher