Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
angesehen, auf Jochens Balkon. Als wäre es alles ein Spaß. In Berlin mussten sie unser Firmengelände gegen Nazischläger verteidigen. Ich habe es im Ohr, das männliche, kehlige Gebrüll. Überall »gerechter Zorn«. Als ob es so was gäbe.
Ein paar Blätter Schreibpapier werden hochgehalten. Ich kann nichts entziffern. Die Demo ist nicht besonders gut vorbereitet. Und wogegen gibt es hier etwas zu demonstrieren? Haben die von Udos Spülwasser erfahren? Hat meine Mutter öffentlich Freibier versprochen? Oder sind das etwa …? Die Musik geht aus, und meine Ahnung bestätigt sich. Ich höre Ricks Stimme durch ein Mikrophon.
»Es ist unglaublich, was hier passiert! Ich danke euch, dass ihr so schnell und zahlreich gekommen seid! Wir müssen unser Recht in die Hand nehmen. Wir dürfen uns nicht mehr alles gefallen lassen! Wir müssen Klartext sprechen! Wir sind gegen alles!«
Großer Jubel bricht aus. Die Menschen stehen viel zu eng beieinander. Alles quetscht und drängt. Wenn nur einer umkippt, dann wird das so was wie bei der Loveparade im letzten Jahr. Ich zittere.
Ich ziehe das große Becken mit Irmtraut in die Küche. Die ist weit genug weg von der Straßenseite. Wie praktisch, dass Rollen unter dem Unterschrank sind. Dann haste ich zurück zum Computer.
Caterina, ich muss Schluss machen. Hier bricht das Chaos aus. Du hast völlig recht – so was mache ich nicht mit. Es versammelt sich gerade ein gigantischer Flashmob, und Rick schwingt große Reden. Ich muss nach meiner Mutter sehen.
Susanne
»Mama, geht es dir gut?«
Meine Mutter steht im Gastraum hinter dem Tresen und poliert ihre Gläser. Sie lächelt mich ganz ruhig an: »Ach, das sind doch nur ein paar Jecke. Mach dir mal keine Sorgen.«
»Keine Sorgen? Hast du gesehen, was da draußen vor sich geht?«
»Rick kümmert sich darum.«
»Mama, der heizt die doch nur auf. Der denkt doch, dass das seine Chance für ein Comeback ist! Und merkt gar nicht, dass er nicht Fans, sondern Fanatismus heraufbeschwört.«
»Susanne, ganz ruhig. Das hier ist Köln. Wir können mit großen Ansammlungen umgehen. Geh doch einfach hoch und schlaf eine Runde. Du siehst erschöpft aus. Wenn du wieder aufwachst, ist alles vorbei.«
Mein Mund bleibt geschlossen, meine Entgegnungen finden keinen Ausgang. Ich drehe mich um, gehe hoch und rufe die Polizei an. Es seien bereits mehrere Mannschaftswagen unterwegs, es gebe jedoch keinen Grund zur Beunruhigung. Dies sei schließlich Köln.
Ich sehe nach Irmtraut. Sie schläft völlig entspannt mit ausgestrecktem Kopf und geschlossenen Augen unter der Wärmelampe. Sie würde spüren, wenn das, was da draußen los ist, Gefahr bedeuten würde. Der Panzer würde wirken, als wäre er leer.
Ich streichle sie. Sie dreht schlafend ihren Kopf ein wenig zu meinem Finger hin. Sie ist hier gut aufgehoben.
Aber ich nicht. Ich muss weg.
Eine Viertelstunde später lege ich einen Zettel auf den Küchentisch: Bin in Neuseeland. Susanne. Den zweiten werfe ich Udo in den Briefkasten: Tipp: Such nach seltenen Tierarten. Platziere sie.
Caterina maile ich, dass ich nach Neuseeland fliege und mich melde.
Ich habe online ein Last-Minute-Ticket nach Wellington gebucht.
Es war sehr günstig, hat aber trotzdem mehr als ein Drittel der Summe gekostet, die ich für den Wagen bekommen habe, mit dem ich aus Berlin gekommen bin. Üblicherweise bereist man Neuseeland über Auckland, das ist kürzer und bequemer. Aber es ist mir egal, wie lange ich unterwegs bin. Ich will nur weg. Weit weg vom »gerechten Zorn«. Ans andere Ende der Welt.
Mit meinem Koffer gehe ich durch die Hintertür zum Hof hinaus und klettere am hinteren Ende des Gartens über die Mauer. Das Geschrei der Demo dringt nur gedämpft herüber. Hier gibt es keine Menschen.
Ich halte ein Taxi an.
> Susanne
< Ich
Kois werten nicht
20. 03. 2011
51° 26′ 29.51″ N, 7° 16′ 3.09″ E
Ich liege bereits wach, als das helle Morgenlicht durch die Ritzen meines heruntergelassenen Rollos dringt. Neben mir liegt Caterina, ihr Köpfchen auf meiner Brust, und das Licht erleuchtet das Rot ihrer Haare in tausend, ach was, in Millionen verschiedenen Nuancen. So haben wir gelegen, früher auf meinem Hochbett in der WG. Ich wurde jeden Sonntag ganz von selber wach, fünf Minuten vor dem ersten Strahl. Ich wusste genau, wann die Sonne durch die Ritzen bricht und Caterinas Haar zum Glühen bringt. Sie schlief noch weiter, tief und fest, manchmal bis zehn oder elf Uhr vormittags. Schlug
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