Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Bundfaltenhose, der Erntegold-Tabak und die tägliche Ohrfeige gegen das ungehorsame Eheweib. Widerlich.
Nestor nickt und nimmt den Arm vom Schreibtisch. »Die sind beide von mir!«, sagt er. »Ich bin Literatourer. Und Klarseher. Und viele andere. Ha!« Wieder so ein lauter Lacher. Er treibt Yannick aus der Decke und unter das Bett. »Das Lob hat der Verlag bezahlt, der das Buch herausgibt. Den Verriss zahlt die Konkurrenz. Das ist häufig so bei Literatur. Musiker machen das weniger. Manche buchen bei mir das Rundumpaket mit Verleumdung und Diffamierung. Da schreibe ich dann noch Leserbriefe an Zeitungen und stelle Foren voll.« Nestors Nickhaut saust hinab, aber dafür lächelt er jetzt irre. Seine Augen verformen sich zu glitzernden Spiegeleiern.
Ich stehe auf, kratze mich am Ohr und nehme meinen Rucksack, da ich wirklich zur Arbeit muss. »Aber, Nestor, sag mir eines«, hauche ich und spiele dabei scherzhafte Dramatik: »Wie findest du das Buch tatsächlich ?«
Nestors Spiegeleiaugen geraten in Wallung. Sie zittern und flattern wie die Ränder, die in der Pfanne dunkel werden. Er lacht erneut und steigert sich hinein, es ist wie das Gackern eines mechanischen Gockels, dem die Scharniere rausschießen, sein Kopf hüpft, und feine Fettspritzer aus der Spiegeleipfanne fliegen durch die Luft.
»Ich weiß es nicht!«, johlt er, als ginge ihm diese Erkenntnis gerade das erste Mal durch den Kopf. »Ich habe a-b-s-o-l-u-t k-e-i-n-e A-h-n-u-n-g! Haaaaa!!! Aber gelesen habe ich es. Glaube ich …«
Ich schiebe meinen linken Arm durch die Rucksackschlaufe und sage: »Ich gehe jetzt arbeiten.«
»An einem Sonntag?«
»Wisse eines, Nestor: Der Paketdienst schläft nie.« Ich fixiere ihn. »Kann ich dich auch im Wachzustand alleine lassen, oder springst du wieder irgendwo runter?«
»Bei welchem Dienst arbeitest du denn?«
»Bei UPS, am Fließband.«
Nestors Nickhaut schnellt nach unten: »Schnelle Lieferung, freundliche Mitarbeiter, hohe Zuverlässigkeit. Wenn der braune Wagen mit der goldenen Schrift um die Ecke biegt, weiß man, was man hat.«
»Ich muss dich also einsperren, ja?«
»Das wäre Freiheitsberaubung. Ich müsste von hier drinnen die Polizei anrufen, die brechen dann die Tür auf …«
»Nestor!«
»Ja, du kannst mich allein lassen.«
Ich öffne die Küchenschublade, greife unter den Knoblauchquetscher und die anderen unnützen Utensilien, die mein Untervermieter dagelassen hat, und drücke Nestor meinen Zweitschlüssel in die Hand. Ich weiß nicht, was mich treibt, aber ich habe das Gefühl, dass der Mann einen Vertrauensbeweis braucht. Eine Verantwortung, die ihn darin hindert, Unsinn zu machen. Yannick versteckt sich zwar vor Nestors Lachen, weil es laut ist, aber er hat die ganze Nacht in seinem Arm geschlafen. Das ist ein kolossaler Beleg dafür, dass hier Hopfen und Malz nicht verloren sind. Mein Kater hat einen IQ von 125. Von seinem EQ will ich gar nicht erst reden.
»Schreib deine Texte hier, wenn du willst. Kraul den Kater.«
Die Nickhaut ist weg, und Nestors Kinderstrahlen ist wieder da. »Ehrlich? Ich darf beim Kater bleiben?«
»Ja.«
Yannick kommt wieder unter dem Bett hervor und streift Nestor um die schmalen Beine.
»Danke! Das mache ich!«
»Und keine Kopfsprünge. Ich verlass mich drauf.«
Nestor reicht mir seine hagere Hand.
»And now entering the arena«, ruft Martin und macht dabei die bauchige Sprachmusik des amerikanischen Wrestling-Ansagers nach, »from the skyscrapers of Querenburg, weighing 182 pounds – the man with the amazing name of …«
»Schnauze!«, unterbreche ich ihn. Das Radio dudelt bereits, das Band läuft jeden Moment an. Stolle springt von einer rollbaren Gittertreppe, die vor den Transportern steht, und blafft in die Halle: »Reißt euch am Riemen. Ich will keinen weinenden Arjen Robben sehen. Ich will eine ganze Halle voller unzerstörbarer Christoph Dabrowskis!«
»Jawoll, Chef!«, brüllen die Aus- und Einpacker bis auf einen, der BVB-Fan ist. Christoph Dabrowski ist die Nummer Fünf des Vfl Bochum, ein knallharter Klopper aus Kattowitz in Polen.
Martin klatscht mich ab und schiebt mich in den Laster: »Mach du heute die Wände, und ich räum das Band ab.«
Ich ziehe mich hoch. Meine Schritte hallen in dem noch leeren LKW-Hänger, den ich in den nächsten Stunden randvoll machen werde. Es riecht nach Metall, trocken und streng. Heimatduft. Das Band läuft an. Das fühlt sich gut an, immer wieder. Erst leer, dann voll. Wand für Wand.
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