Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Volltonfassadenfarbe von Pufas lässt Sie auch nach dreißig Jahren nicht im Stich.«
»Wo hast du den Schlüssel für die Tür her?«, frage ich. »Ich denke, es gibt nur noch ein Dutzend.«
»Drei«, antwortet er. »Es gibt nur noch drei. Insgesamt. Drei Schlüssel für alle Gebäude. Sie werden teuer gehandelt. Ich habe bei eBay über dreihundert Euro dafür gezahlt.«
»Unter welcher Artikelbezeichung? ›Exklusiver Selbstmordschlüssel der Ruhr-Uni-Bochum, gut erhalten‹?«
»So was handelt man unter Codewort, du Dummerchen.«
Ich schnaufe.
Nestor wedelt mit dem Schlüssel vor dem blauen Himmel: »Über dreihundert Euro. Da musste ich doch wenigstens mal gucken.«
»Runter hier«, befehle ich, »und her mit dem Schlüssel.« Er gibt ihn mir. Wir verlassen den Balkon. »Knopf drücken«, weise ich ihn an, und er drückt »02« am Aufzug. »Nein«, ändere ich das Kommando. »Wir laufen. Das heitert auf.« Nestor folgt mir ins Treppenhaus. Dieser militärische Ton funktioniert einfach bei ihm.
Wir steigen hinab. Er schüttelt den Kopf über die Aufkleber am Holzgeländer. Im vierten Stock, seiner alten Heimat, lehnt er sich in Sekundenschnelle darüber und versucht, sich in den schmalen Spalt zwischen den Treppen zu stürzen. Ich packe ihn am Hosenbund. »Lässt du das jetzt wohl bleiben! Ich glaub, mein Schwein pfeift!« Ich gebe ihm eine Ohrfeige. Er sieht mich aufmerksam an, als wenn er es ganz interessant gefunden hätte.
Wir fahren den Rest mit dem Aufzug.
Das Wochenendseminar hat Pause. An einem Tisch im Erdgeschoss vor der geschlossenen Cafeteria flirtert der blonde, attraktive Dozent mit einer rothaarigen, attraktiven Besucherin. Sie ist wahrscheinlich Gasthörerin, denn sie sieht nicht aus wie eine mädchenhafte Studentin, die sich mit Interpretationen abmüht, sondern wie eine Frau mit Feuer. Der Dozent lächelt wie Patrick Jane, der Mentalist . Er lässt einen Kuli durch seine Finger tanzen, aber man merkt, dass er viel lieber mit ihren Fingern spielen würde.
»Wir gehen spazieren«, beschließe ich und lotse Nestor in Richtung des Botanischen Gartens.
Vor dem Eingangstor sagt Nestor: »Der Botanische Garten Bochum ist gerade im Frühjahr und im Sommer einen Ausflug wert. Liebevoll gepflegt, besticht er durch seinen Abwechslungsreichtum.« Ich funkele ihn an. Er sagt: »Das habe ich bei TripAdvisor geschrieben. Da heiße ich travelguyNRW.«
Wir gehen hinein, und sofort ändert sich der Klang, denn unter unseren Sohlen knirscht nun der Kies der botanischen Wege. Alles duftet. Die Sonne weitet Blüten. In der Ferne quaken die Frösche im Urwaldteich. Unser Weg führt zum Chinesischen Garten, dem bekanntesten Teil des Geländes. Nestor atmet tief ein. Ihm liegen Texte zu den Pflanzen auf den Lippen, aber er öffnet sie nicht. Stattdessen fragt er: »Wie heißt du bei Amazon?«
»Ich schreibe nicht.«
»Nirgendwo?«
»Ich habe schon einen Beruf.«
»Du besitzt viele Spiele, viele CDs. Hast du nie das Bedürfnis, dich darüber zu äußern?«
»Ich bin mit meiner Mutter im Hochhaus aufgewachsen«, offenbare ich ihm. »Nur sie, ihre Schwester und mein kleiner Cousin, eine Etage unter uns. Wenn im Fernsehen Nirvana lief, sagte meine Mutter ›Krach!‹, und ich sagte: ›Cool!‹ Lief Chris de Burgh, sagte ich ›Kitsch!‹, und meine Mutter sagte: ›Schön.‹ Lieh ich mir einen Film aus der Videothek im Erdgeschoss und der Thekentyp fragte beim Zurückgeben, wie er war, sagte ich: »Gut.« Manchmal auch »okay« oder seltener mal: »Supergeil.« Das sind so meine Äußerungen und ich denke, die muss man nicht aufschreiben.«
Nestor seufzt. Wir sind am Chinesischen Garten angekommen. Im Wassergraben rund um die Mauern dümpelt Entengrütze vor sich hin. Wir gehen hinüber, wandeln durch die Flure und setzen uns auf die Steinbank der kleinen Zentralterrasse, von der aus man beobachten kann, wie der Wasserfall den Koi-Karpfen auf den Kopf fällt. Hinter den Mauern des asiatischen Wunderlands erheben sich Kiefern, Pinien und Fichten. Die teuren Fische zischen durch den großen Teich.
Nestor beobachtet sie. Die Nickhaut erscheint: »Tetra Pond Koi Excellence Complete ist das optimale Futter für Ihre schwimmenden Schätze. Es schwimmt lange oben, und die Wasserqualität wird nicht beeinträchtigt.«
»Jetzt hör doch mal auf mit der Scheiße und genieße einfach den Tag!«, schimpfe ich. Die Fische machen winzige Bläschen.
»Das will ich doch«, sagt Nestor. »Aber weißt du, was mir
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