Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Trauer allein war.
Ich weiß, es ist ungerecht, es so zu sehen. Alle trauerten. Lisas Vater trauerte. Mein Hartmut. Ich weiß das. Aber ich konnte es nicht spüren.
Und nun kann ich in jede Richtung schauen, und doch könnte mich kein Schritt noch weiter wegführen. Mein Herz ist schwer wie ein Stein. Ich stehe auf dem Kamm eines kleinen Berges auf Neuseeland, sehe die Schönheit und spüre nur die Kluft.
»Buh-buk«, ertönt es direkt über meinem Kopf. Eine Eule betrachtet mich neugierig. »Buh-buk!« Da ist er, der Neuseeland-Kuckuckskauz, der Morepork. Er ist unscheinbar. Graubraun und kaum zu unterscheiden von dem Ast, auf dem er sitzt. »Buh-buk.« Er amüsiert sich. Er kneift die großen gelben Augen zusammen und lächelt. Hier lächeln wohl immer alle. Er schüttelt sich, plustert sich auf und sortiert seine Federn wieder dicht zusammen. »Buh-buk.«
»Ja, ist ja gut. Buh-buk! Was soll das? Müsstest du nicht wegfliegen? Oder fürs Essen sorgen?«
Der Morepork dreht seinen Kopf bis auf den Rücken, wieder zurück und über die andere Schulter erneut auf den Rücken. Dann guckt er mich noch mal an und blinzelt. Er amüsiert sich wirklich. Was um alles in der Welt ist denn so witzig an meiner Situation? Der Kauz schlägt seine Flügel auf, bleibt aber dabei sitzen. Es scheint wohl auf der Hand zu liegen. Aber ich komme nicht drauf. Er streckt seinen Kopf und seinen Körper vor, um wegzufliegen. Ich gehe einen Schritt zurück und merke, dass er doch auf dem Ast sitzen bleibt. Er lächelt zufrieden. Dieses elende Lächeln.
»Ach! Sicher! Ich bin einen Schritt gegangen! Das meinst du! Mannomann, was für eine kluge Eule du doch bist.«
Ich setze mich auf einen Baumstamm, der dort liegt, blicke auf das Meer mit dem Mond und kann es endlich genießen. Der erste Schritt, denke ich. Und jeder weitere führt mich näher zu meinen Lieben und zurück zu Hartmut.
Der Kauz fliegt zu mir herunter, setzt sich neben mich und kuschelt sich in sein Gefieder ein.
> Susanne
< Ich
Wannenunterhaltung
22. 03. 2011
51° 31′ 22.30″ N, 7° 31′ 45.90″ E
Das Klackern der Tastatur weckt mich um 4.45 Uhr in der Nacht. Nestor und ich sind um drei Uhr nach Hause gekommen. Die zweite Kneipentour durchs Bermudadreieck in Folge. Ich wollte mich eigentlich nur in Ruhe verkriechen, da kommt ein Depressiver, und schon ist täglich Party. Dieses Mal habe auch ich etwas hemmungsloser zugeschlagen, aber immer noch nicht so sehr, dass ich ihn im Falle des Falles nicht am Hosenbund aus einem Brunnen hätte ziehen können. Ich habe Nestor zurück ins Haus geschleift und ihn auf die Luftmatratze geworfen. Wenn ich ihn betrunken mache, dringt das Leben langsam in ihn ein, flutscht dann aber umso schneller wieder aus ihm heraus wie aus einem nicht zugeknoteten Ballon, dem die Luft entweicht. Das alles ist gerade mal eineinhalb Stunden her, und jetzt sitzt er da mitten in der Nacht und hackt in die Tastatur.
»Weißt du noch, wie das siebzehnte Lied hieß, das in der Disco lief? Ich hab den Rezensionstext schon fertig, so ist das nicht. Der massiv pumpende Dance-Track überträgt die Klangästhetik des Neunziger-Jahre-Hardtrance in die Moderne, wo R’n’B-Gesang, Vocoder-Effekte und poppige Eingängigkeit im Vordergrund stehen. Das kann man doch so schreiben. Oder meinst du, ›Klangästhetik‹ ist ein zu kompliziertes Wort für eine Rezension zu einem Dance-Track? Ja, du hast recht. Klangästhetik schreibt man, wenn man eine Surround-Sound-Neuauflage alter Mike-Oldfield-Platten bespricht.«
Nestors Stimme kratzt wie winzige Pommesgabeln in meinen Gehörgängen. Ich habe Kopfschmerzen und einen Geschmack von Kupfer, Blei und Batteriesäure auf der Zunge. Vor allem aber bin ich todmüde und derartig schwer, dass irgendeine andere Aktion als Atmen für mindestens drei weitere Stunden undenkbar ist.
»Pass auf. Dann schreib ich das jetzt so: Der massiv pumpende Dance-Track überträgt den Sound des Neunziger-Jahre-Hardtrance in die Gegenwart, wo –«
Ich atme, schnaufe, springe aus dem Bett und packe Nestor an den Schultern. Kann ich mich also doch bewegen. »Wir waren heute Nacht auf der Rolle, damit du tanzt, trinkst und geil wirst, wenn du dir bei diesem Lied die wackelnden Hintern der Frauen anguckst. Geil, hörst du? Hardschwanz, nicht Hardtrance!«
»Aber …«
»Nix, aber! Es ist mitten in der Nacht. Du müsstest da auf der Matratze liegen und mit dem Kater im Arm deinen Kater ausschlafen. Oder dir einen hobeln auf
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