Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
die heißen Hintern. Aber was machst du? Schreibst Rezis über die Lieder, die wir in der Disco gehört haben! Du musst endlich deinen Autopiloten abschalten und leben, du Kopfgeburt!«
Nestor lässt Ohren und Haare hängen. Ich gehe um den Stuhl herum und schlage mit der flachen Hand auf die linke obere Ecke des Schreibtischs. »Weißt du, was hier liegen müsste? Die ersten vier Pizzakartons für den neuen Turm! Und? Liegen sie da? Nein! Beschwere ich mich deswegen? Sag, beschwere ich mich deswegen?«
»Also, auf indirekte Art tust du das gerade schon …«
Ich zische: »Schlaf jetzt. Ich will nichts mehr hören.« Nestor atmet ein. »Das ist ein Befehl!«
Zwei Minuten später schnarcht er auf der Matratze.
Barrruuuuuuuhhhhhhhhgrubb.
Barrruuuuuuuuuuuuuuhhhhhhhhgrubb.
Barrruuuuuuuuuuuuuuuuuuuhhhhhhhhgrubb.
Yannick schnurrt so laut, dass ich wach werde. Er schwebt einen Meter hoch in der Luft auf Höhe meines Bettes. Seine Beine hängen nach unten. In seinem Bauchfell sind Nestors Hände komplett verschwunden; nur die dürren Arme des Mannes ragen aus dem schwarzen Knäuel heraus, während seine Finger den Kater durchkneten. Sanft stemmt Nestor den Kleinen dreißig Zentimeter auf und ab. Yannick würde säuglingsgleich gibbeln, wenn er es könnte. So schleicht sich durch Nestors zusätzlichen Liftservice lediglich ein weiterer Laut in das Schnurrgeräusch.
Barrruuuuuuuhhhhhhhh-iiiii-grubb.
Barrruuuuuuuuuuuuuuhhhhhhhh-iiiii-grubb.
Barrruuuuuuuuuuuuuuuuuuuhhhhhhhh-iiiii-grubb.
Nestor merkt, dass ich wach bin und meinen Kopf gedreht habe.
»Du hast mich gestern Abend gefragt, was ich gern tun würde.«
»Hab ich das?« Ich reibe mir die Augen.
»In der Disco. Zwischen Lied neun und zehn. Ich hab gesagt, ich würde gern mal Squash spielen gehen. Weil das keiner mehr macht. Nur Geschäftsleute in den achziger Jahren haben das getan, mittlere Führungsebene bei Henkel oder Horten.«
Ich schaue auf den Radiowecker. Halb acht. Habe ich ihm nicht vor knapp zwei Stunden erst Schlaf befohlen?
»Was würdest du gerne machen?«
»Schlafen.«
»Nee, sag mal ehrlich. Ich hab auch mitgespielt.«
Ich drehe mich auf die Seite, stecke einen Fuß in den Spalt zwischen Matratze und Bettgestell und murmele: »Ich will eine richtige Badewanne.«
»Prima!«, ruft Nestor, setzt Yannick ab und steht auf. »Dann gehen wir jetzt eine besorgen!«
Ein Gähnen reißt meine Kiefer auseinander, das Unterteil nach Garmisch-Patenkirchen, das Oberteil nach Flensburg.
»Jetzt?«
»Wir sind im Ruhrgebiet. Hier laufen überall auch unter der Woche Trödelmärkte, wo es auch Großwaren gibt. Wenn wir da keine Wanne finden, dann gibt es keine Wannen mehr auf der Welt.«
»So früh …«
»Willst du, dass ich die letzten zwanzig Lieder aus der Disco auch noch rezensiere?«
Ich grunze. Mein T-Shirt belegt, dass der Mensch in der Nacht drei Flaschen Schweiß absondert.
»Du hast gesagt, ich soll leben. Jetzt will ich leben und mit dir eine Wanne kaufen gehen, und das ist auch wieder nicht richtig.«
Ich stelle es mir vor, auf dem Bauch, die Decke am rechten Ohr, den Fuß am Holz. Eine Badewanne. Es ist bescheuert und unvernünftig, unrealistisch und absurd. Aber das sind manche Spiele auch, die zu schaffen man niemals für möglich gehalten hätte. Man machte trotzdem einfach drauflos, dachte nicht groß dabei nach und stand am Schluss vorm Endgegner. Ich lasse den Zipfel los, strecke den Arm aus der Decke in Richtung Küchenzeile und bewege den Finger auf und ab, als ob ich auf einen Knopf drücke: »Kaffee.«
Nestor klatscht in die Hände: »Mit dem größten Vergnügen!«
Eine Stunde später schlendern wir über einen mächtigen Trödelmarkt am Wambeler Hellweg in Dortmund. Struppige Baumreihen begrenzen das Gelände, das sonst ein Parkplatz zu sein scheint, auf dem hilflose Siebzehnjährige mit Papa für die Fahrschule üben. Nestor hat das große Ex-Taxi gefahren und die Ladefläche mittels Umklappen der Rückbank und Vorschieben der Vordersitze auf Gesicht-in-der-Scheibe-Niveau tauglich für den Transport einer Badewanne gemacht. Die Standsortimente deuten darauf hin, dass wir tatsächlich eine finden könnten. Immer wieder unterbrechen wuchtige Waren das kleinteilige Flohmarkteinerlei. Riesige amerikanische Kühlschränke, eichene Schrankwände, alte Motorräder mit Beiwagen. Ein Mann in lederner Weste bietet sogar einen tonnenschweren Schmiede-Amboss feil. An der Rückseite seines Standzeltes hängen Flaggen der
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