Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Afghanistan.
»Määäääääääääh!!!«
Aua! Ich schieße, aber verziehe das Gewehr. Der Mann bemerkt mich nun doch, schießt zurück und hinterlässt den Bildschirm rot und mit weich ausgeblendetem Zwischenmenü. Ich bin tot. Yannick hat mir die Kralle seiner rechten Vorderpfote in den Oberschenkel gejagt. Er stellt sich auf meine Beine, direkt in mein Blickfeld zwischen Bett und Fernseher, holt Luft wie ein Opernsänger und mäht mich mit weitaufgerissenem Mäulchen an. Den Windstoß aus Mundgeruch hätte ein Cartoonist als Sturmfront mit Fischgräten gezeichnet. Ich seufze und stehe auf. Auf der Playstation 1 sahen Kriegsschauplätze aus wie Berge aus Pappmaché. Die Gesichter waren kantig. Es ruckelte. Die Playstation 3 dagegen ist ein Wirklichkeitsautomat. Na ja, ich habe sie nicht selbst gekauft. Sie stand halt schon hier. Der Student, der mir sein winziges Appartement im Wohnheimhochhaus heimlich untervermietet, hat sie dagelassen. »Brauche ich nicht in Kanada«, meinte er. Yannick macht drei Schritte über das Bett und springt auf den Boden. Er springt nie direkt. Immer erst drei Schritte. Es ist eine Geräuschfolge, die ich auswendig kenne. »Flusch – Flusch – Flusch – Klonk.« Der Weg zum Kühlschrank ist kurz, nicht wie damals in unserer WG. In der Wiemelhauser Straße hatten wir hundertzwanzig Quadratmeter. Heute habe ich siebzehn. Meine Küche und mein Bad könnte man so, wie sie sind, in einen Wohnwagen einbauen. Vor allem das Bad, denn es besteht aus einem einzigen Stück beigem Hartplastik. Man steht darin, und das war’s. Klo, Becken und Dusche bilden eine Box. Die »Vertiefung« der Dusche hat ihren Namen nicht verdient. Nicht mal ein Zentimeter; das Wasser läuft immer in die ganze Badbox. Die hat allerdings eine achtzehn Zentimeter hohe Türschwelle, damit die Duschsuppe nicht auch noch in das Zimmer selbst austritt.
Niemand weiß, dass ich hier wohne. Auf der Klingel steht weiterhin der Name des Studenten. Falls er Student ist. Studenten gehen üblicherweise nur ein Jahr nach Kanada und nicht »für unbestimmte Zeit«. Yannick streift um meine Beine und rammt sein Köpfchen dagegen. Als ich den Kühlschrank aufmache, greift er ninjaschnell hinein und zieht mit der Kralle ein Netz mit Salamiwürstchen heraus. »Das gehört mir!«, sage ich, doch er hat es bereits im Maul und bringt die Beute unter den Schreibtisch, auf dem sich nebeneinander fünf Türme leerer Pizzakartons stapeln. Die ersten vier berühren bereits die Decke, wie tragende Säulen. Der fünfte Turm lässt oben nur noch drei Schachteln breit Platz. Einen sechsten Turm kann ich nicht stapeln, dazu ist der Schreibtisch nicht breit genug. Noch drei Pizzen also, bis ich zum Altpapiercontainer muss. Gestern war Tonno dran, dann ist es heute Abend Volcano und morgen Popeye. Yannick reißt das Netz entzwei und beißt die Folienpackungen auf. Ich lasse das Katzenfutter zu. Soll er sich mit der Wurst beschäftigen. Er kriegt sie ausgepackt. Das weiß ich. Auf dem Bildschirm wartet mein afghanischer Anführer Voodoo, der mit uns Amerikanern gegen die Taliban kämpft. Ich schaue auf die Uhr. Er muss warten. Jetzt ist Badeversuchszeit.
Ich betrete die Badbox, stecke den Stöpsel in den Abfluss der Dusche und klemme den störenden Vorhang hinter den Hahn des Waschbeckens. Ich drehe das heiße Wasser auf. Nach einer Minute schwappt es über die Ein-Zentimeter-Dusch-Vertiefung, und die ganze Badbox füllt sich. Das Wasser fließt um das Klo herum. Der Spiegel hebt sich an der Türschwelle. Auf dem Waschbecken stehen meine Flaschen mit Badezeug. Ich kippe Karibik, MuskelVital und Fichtennadel in die flache Flut, damit sie Aroma kriegt. Unter dem Schreibtisch schmatzt Yannick.
Es klopft.
Vor der Tür steht ein unsymmetrisch gewachsener junger Mann. Wäre er ein Weihnachtsbaum, bliebe er bis Heiligabend verschmäht, während die Familien die wohlgeformten Nordmanntannen mitschleppen.
»Hier, hundert Euro«, sagt er. Er hält mir zwei abgegriffene Fünfziger hin und schaut aufgeregt den Flur hinab, als könnten wir beobachtet werden. Ich starre ihn an. Er wirft einen Blick über meine Schulter in das Zimmer.
»Das ist doch der Tarif für Linguistik, oder?«
»Was für’n Ding?«
»Man hat mir gesagt, ich kann die Arbeit für Linguistik hier abholen. ›Theatralität und Muster sprachlichen Handelns.‹ Hauptseminar. Sieben Credit Points. Hundert Euro.«
»Das finde ich zu günstig«, sage ich.
Er ächzt. Kramt in der
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