Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
selten.
Dabei ist der »Kölsche Klüngel« eine hübsche kleine Kneipe. Auf eine alte Art typisch kölsch, mit holzgetäfelter Theke, an der unten der Stahl des klassischen Fußlaufs glänzt. Hinter der Theke stehen Holzschränke mit Glastürchen und dezenten Spiegelflächen, in denen blankpolierte Gläser und die Spirituosen auf ihren Einsatz warten.
Auf der großen, holzgerahmten Naturschieferplatte neben der Theke werden Speisen angeboten. Die Buchstaben eilen geordnet über die Tafel. So kann nur meine Mutter schreiben. Ich brauche lediglich an diese Tafel zu denken , und ganze Seen bilden sich in meinem Mundraum. Schuld daran ist der Eintrag für montags: frische »Rievkoche« mit Apfelmus. Aus grobgeraspelten Kartoffeln gemacht und in viel frischem, heißem Fett ausgebacken. Die Komposition der Zutaten muss ebenso perfekt sein wie die Temperatur des Fettes. Viele bekommen das nicht hin und bieten beim Verkauf der Reibekuchen neben der Serviette auch gleich Talcid oder Rennie an. Ein Zusatzgeschäft, auf das meine Mutter gern verzichtet. Sie hat lieber fast zwei Jahre lang nach einer Köchin gesucht, die die Reibekuchen exakt so macht, wie meine Mutter es will.
»Hee häste ding Pils, Jupp«, sagt meine Mutter zu dem großen Mann. Er nickt und entgegnet: »Do bis en ech Leevche, Hildche!«
An der Wand hinter ihm hängen kunstvolle, kleinmütige Karnevalsorden. So langsam trauen sie sich nach der Aufregung wieder aus ihrem Versteck hinter einer altmodischen Sparkästchenbox heraus. Trotz Finanzkrise und Online-Banking sind stets alle Kästchen der Box vergeben, und es gibt eine lange Warteliste von Leuten, die gern zum inneren Kreis des »Kölsche Klüngel« gehören würden.
»Ich weiß jetz nit, ov ehr ming Doochter kennt«, sagt meine Mutter in die Runde. Oh, ich bin also der Grund. Meinetwegen müssen alle für frische Luft sorgen. Die likörgeschwängerte Luft stinkt trotz der offenen Fenster immer noch mehr nach Tabakqualm als nach Alkohol. »Dat es et Susanne«, stellt mich meine Mutter der Runde vor.
Alle schauen mich an. Auf den Gesichtern breitet sich Strahlen aus. Rick steht auf, spreizt seine Arme ab, streckt seinen Brustkorb vor und schreitet mit so breiten Schritten auf mich zu, wie man sie sonst bestenfalls in einer Karikatur eines dickbäuchigen Mannes vermuten würde. Seine Augäpfel gleiten langsam unabhängig voneinander in unterschiedliche Winkel. Ein Tropfen Sabber klebt an seinem Mundwinkel. Er hat wirklich schon genug.
»Dat Susannchen! Leck mich en de Täsch, wat för e lecker Mädche!«
Ehe ich mich verdrücken kann, hat er mich fest umschlungen und drückt mir links und rechts nasse Küsse auf die Wange. »Esu, un jetz bütz do mich ens«, hält er mir seine angespitzten Lippen hin.
Ich freue mich ja über das Kompliment, obwohl praktisch kaum eine Frau so schlecht aussehen kann, als dass ein Kölner sie nicht als »lecker« bezeichnen würde, aber diese Knutscherei ist mir dann doch zu viel. Ich biege meinen Rücken zurück und will mich aus der Umklammerung winden, als meine Mutter neben Rick auftaucht, ihm den Arm um die Schultern legt und ihn wegführt. Sie zwinkert mir zu, und ich atme aus.
Rick fängt an, ein Lied zu schmettern. Es klingt wie ein kölscher Karnevalsschlager auf Englisch. Die Melodie kommt mir bekannt vor, und unter den lauten und schrägen Tönen entdecke ich »Suzanne« von Leonard Cohen.
»Das ist der Rick. Du weißt schon, Rick Muller«, erklärt meine Mutter.
Ich weiß tatsächlich. Rick war mal ein Schlagerstar in Deutschland. Noch heute verkaufen sich seine Platten und seine Produktionen, aber die größten Erfolge sind Jahrzehnte her.
»Un ich ben et Trude, ävver mer kenne uns jo ald«, donnert eine kleine pummelige Frau mit kurzen dunklen Haaren vom Tisch her und hebt dabei kurz ihr Glas mit der rotglänzenden Crème-de-Cassis-Sekt-Mischung hoch. Sie lacht mich mit ihrem ganzen Körper an. Auch die anderen Gäste prosten mir zu.
Ich gehe zum Tisch, klopfe auf die Platte, sage: »Ich mache dann mal so«, und setze mich auf den nächsten freien Stuhl.
Rick, den meine Mutter wieder auf seinen Platz gesetzt hat, steht erneut auf. Diesmal bleibt er auf dem Boden. Seine Augäpfel bemühen sich zitternd, zugleich in eine Richtung zu blicken. Ich habe keine Hoffnung, dass sie das heute noch schaffen. Doch dann stehen sie still. Die Pupillen starren gleichzeitig in eine Richtung. Noch zuckt das linke Augenlid vor Anstrengung, aber der Blick wird
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