Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
»Zwischenfall«. »Nein, echt nicht, Martin. Wir sehen uns morgen am Band.«
»Federballer«, sagt Martin, schüttelt den Kopf und geht. Auf halbem Flur dreht er sich noch mal um und sagt: »Das kann nicht so bleiben.«
Ich schließe die Tür, drücke bei Medal of Honor auf Start, laufe zu dem Karren mit der abgeblätterten Farbe, visiere die Gegner an und ballere sie aus ihrem Versteck. Es fällt der erste. Ich mache einen Schritt vor. Es fällt der zweite.
Ich arbeite bei UPS am Fließband, esse Pizza, spiele Krieg und werde von meinem Arbeitskollegen zu Veranstaltungen eingeladen, bei denen die Kapellen Eisenpimmel oder Köterkacke heißen. Caterina malt in Ateliers, isst Steinpilznudeln von der hauseigenen Köchin Anna, spielt Logik-Adventures und wird von ihrer Mutter zu Veranstaltungen eingeladen, bei denen die Kapellen Chris Gall Trio oder The Michael MacBreedy Free Jazz Quintett heißen. Ich bin nicht gut genug für sie. Caterina ist Kate Winslet vom Oberdeck, aber ich bin nicht mal Leonardo diCaprio zwischen den irischen Arbeitern. Ich bin der blinde Passagier zwischen den Ratten. Ich kann nicht einfach oben in die Gesellschaft platzen. Sie muss entscheiden, wann sie vom Oberdeck wieder zu mir runtersteigt.
Yannick nestelt mit der Pfote an einem der sauber gestapelten Kartontürme herum.
»Ach ja«, sage ich, drücke die Kurzwahl 1 auf meinem Handy und bestelle mir die Volcano, die heute dran ist.
> Ich
Das Meisterwerk
15. 03. 2011
50°14′ 40.10″ N, 8° 37′ 4.50″ E
»Möchtest du noch einen Kakao, Caty?«
»Oh, ja bitte. Er ist sehr lecker geworden.«
»Ich habe etwas Zimt und Kardamom untergemischt. Schön, dass er dir schmeckt.«
»Caterina! Ein Kakao ist mehr als genug. Du ruinierst dir noch deine Figur. Achte einfach auf das, was ich esse. Nicht mehr und nicht weniger. Dann bleibst du schlank und gesund. Nehmen Sie den Kakao wieder weg, Anna. Diese unsäglich fettigen Croissants auch. Wie kommen die überhaupt in mein Haus?«
»Jawohl, Frau Grosse, sofort.«
Ich habe mir die Croissants gewünscht. Anna wusste, dass das Ärger gibt, aber sie hat sie mir trotzdem selbst gebacken.
»Mutter, ich wiege seit meinem siebzehnten Lebensjahr exakt 60 Kilogramm bei einer Größe von 165 Zentimetern. Hältst du das wirklich für so unglaublich viel zu dick?«
»Neun Kilo könnten da locker runter. Elf würden auch nicht schaden.« Wenn mein Vater auf Geschäftsreise ist, kann meine Mutter niemand mehr halten. ›Eine Frau kann nie zu schlank und nie zu reich sein.‹ »Wer hat das gesagt?«
»Coco Chanel.«
»Bestreitest du etwa die Größe dieser Frau?«
»Sie war wahnsinnig. Angesichts von Mädchen, die aus Modegründen keinen Bezug mehr zu ihrem Körper haben und sich zu Tode hungern, ist dieses Zitat mehr als obszön.«
»Contenance, meine Liebe. In diesem Haus werden große Künstler niemals als obszön beschimpft.«
»Obszön, obszön, obszön! Coco Chanel und alle, die seit dem Kult um Twiggy die Nichtexistenz der weiblichen Figur als höchstes Schönheitsideal propagieren, ja, mehr noch, sie sogar als Mindeststandard definieren, sind obszön! Weißt du, was Sabrina Fox sagt? ›Mode für Frauen wird von homosexuellen Männern gemacht, die auf schmale Knabenfiguren stehen.‹ Das ist mal Wahrheit.«
»Die Frau ist wahrscheinlich unansehnlich, fett und neidisch.«
»Die Frau ist attraktiv, schlank und spirituell.«
»Dann ist sie eine Heuchlerin.«
»Nein, sie lebt in Frieden mit ihrem Körper.«
»Kind, so was gibt es nicht. Ich muss jetzt zum Friseur. Du solltest mitkommen, damit das Vogelnest auf deinem Kopf heute Abend angemessener aussieht.«
»Ich, liebste Mutter, gehe jetzt in die Küche, lasse mir die größte Tasse Kakao von Anna machen und esse dazu alle Croissants, die ich in diesem Haus finden kann!«
»Wie du willst. Dann achte darauf, dass du wenigstens das äußerliche Fett gründlich abwäschst, bevor du dich in deine Abendgarderobe presst. Fettflecken sehen einfach nur unschön aus.«
Meine Mutter verzieht keine Miene. Sie ist stolz darauf, dass sie keine einzige Mimikfalte hat und sich Botox und Schönheitsoperationen bislang ersparen konnte. Meine These ist, dass ihr Körper in ständiger Angst vor ihr lebt und nicht wagt, auch nur eine Sekunde nachzulassen.
Hier lässt nichts nach. Die Tischdecke ist frisch gestärkt und vollkommen faltenfrei. Das Esstischensemble ist seit mehreren Generationen in Familienbesitz und sieht noch immer aus, als
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