Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
um »Spaß« zu machen. Spaß ist das falsche Wort für sie. »Spaß« machten früher auf der PS1 die harmlosen Blubberbläschen aus der Kanone des Floating Runner . Die Kloppereien mit Tekken 2 . Sogar die endlosen Dialoge der Granstream Saga . Kleine Figuren, die jahrelang durch Landschaften laufen. Yannicks Zunge poliert meine Haut. Kein Pudding mehr dran. Einen Moment lang sehe ich vor mir, wie Caterinas Fingerspitzen von rechts ins Bild tanzen und sich in des Katers Fell graben. Ihre sanft geschwungenen Brauen über den grünen Augen. Die rote Strähne. Wir kneten den Kater gemeinsam durch und küssen uns, sobald er vom Bett springt. Gut, dass sie nicht sehen kann, wo ich gerade lebe. Okay, bis auf die fünf Stapel Pizzakartons sieht es anständig aus. Ich bin ein Packer. Ich packe die Dinge dorthin, wo sie hingehören. Aber dieses Hochhaus … Querenburger Höhe 100, Kopfpunkt des Bochumer Uni-Centers. Ein Abgrund, der in den Himmel wächst. Und hinter jeder Tür lebt jemand anderes als der, der offiziell dransteht.
»Weißt du, wer hier früher gewohnt hat?«, frage ich Yannick, um mich von den Gedanken an Caterinas Finger abzulenken. »Ziad Samir Jarrah. Der Mann, der am 11. September das Flugzeug gesteuert hat, das ins Capitol einschlagen sollte. Ja, jetzt guck nicht so erschrocken. Er hat nicht in diesem Zimmer gewohnt. Aber wegen ihm gibt es dieses Spiel da.« Ich zeige auf die Hülle neben dem Fernseher. Medal Of Honor in Afghanistan. Ein Krieg, der in der Wirklichkeit noch geführt wird. Auf Yannicks Stirn zeichnen sich Sorgenfalten ab. Das geht bei Katern. Das Fell zieht sich zusammen und bildet Furchen. Die Pupillen weiten sich, der Blick wird philosophisch. Ich tätschele ihn. Neben den paar Spielen, die der Student hiergelassen hat, liegen einige meiner CDs, die ich auch über die Konsole abspiele. Obenauf schauen mich Sting, Andy Summers und Stewart Copeland an. Die Best-of von The Police, die ich damals im Auto einlegte, als ich mit Caterina zum Kunstschloss Ringenberg fuhr. Ich habe das Bild vor Augen. Ihr Haar im Wind durch die halbgeöffnete Scheibe. Ihre wunderschönen Augen auf den Feldern. Zufrieden. Geborgen. Bei mir. Ihre zarten Finger, die den Takt von »Every Breath You Take« auf dem Türrahmen mitklopften. Mein Herz, das ihn ebenfalls klopfte, nur doppelt so schnell, dreimal so schnell, viermal so schnell, wie in der hektischen Skatepunk-Version von Millencolin, als sie noch kleine, nervöse Jungs waren. Also so, wie ich mich jetzt noch fühle. Warum bricht Caterina nicht diese verfluchte Vereinbarung, die wir getroffen haben? Niemand von uns vieren tut es. Ja, sicher, die letzten Wochen in Berlin nach dem Tod von Lisa waren die Hölle für uns. Wir konnten keinen einzigen Satz mehr miteinander reden, ohne Schüsse abzufeuern. Aber das ist viele Monate her.
Ich rufe nicht als Erster an. Man darf Frauen nicht drängen. Außerdem wäre es unfair gegenüber Hartmut. Solange er nicht mit Susanne redet, kann ich nicht wieder mit Caterina anfangen. Das wäre irgendwie … wie Verrat unter besten Freunden. Ich müsste ihn erst fragen. Aber ihn kann ich auch nicht einfach so stören, solange er es nicht will. Er hat seine Tochter verloren. Er hat alles Recht der Welt, selbst zu bestimmen, wie lange er braucht. An Weihnachten war ich aber kurz davor. Ich habe im Kaufhof vor den Bienenwachskerzen gestanden und bei »Last Christmas« geheult. Das muss man sich mal vorstellen! Ich bin ein Söldner, ein Packer, und ich heule bei »Last Christmas«!
Es bollert an der Tür.
»Jetzt hau doch mal ab mit deiner Linguistik-Arbeit, da!«, rufe ich, aber es ist nicht die nadelnde Fichte, sondern Martin von UPS.
»Mach auf, du Handballer!«, blafft er.
Ich setze Yannick auf den Boden und mache auf. Zahnlücke, Flachirokese. Muskeln, Arme, Kopf.
»Zieh dich an. Zack, zack! Eisenpimmel spielen im Zwischenfall.«
»Martin, wir haben morgen Frühschicht. Da gehe ich doch nicht bis in die Nacht weg. Und schon gar nicht zu Eisenpimmel.«
»Wir können auch nach Recklinghausen zu Köterkacke.«
»Boah!«
»Du gehst nirgendwo mehr hin. Du Stubenhocker!«
»Ja, lasst mich doch alle.«
»Ich hab zwanzig Paderborner Pils hier drin.« Martin raschelt mit seinem Bundeswehrrucksack. Die Dosen klappern. Ich werde einen Moment schwach, aber dann denke ich mir: Heute ist noch die Volcano dran. Die würde dann wegfallen. Schön gemütlich, Pizza und Trashfernsehen. Das ist mir lieber als Asselpunk im
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