Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Wangenküssen, verkneift sich aber, laut seinen Namen auszurufen. Khaled tauscht ein paar Scheine, wir steigen wieder in den Wagen, fahren los und passieren den dunklen Transporter. Bleib stehen, flehe ich innerlich, bleib stehen, doch kaum sind wir fünfzig Meter an ihm vorbei, schert er wieder in den Verkehr ein. Ohne dass jemand ausgestiegen ist. Ich will Khaled darauf aufmerksam machen, doch er und Houssen haben es längst bemerkt. Sie tauschen hastige arabische Worte aus. Rahime wimmert unter den Planen. Dann gibt Khaled so gnadenlos Gas, wie ich es noch nie bei ihm erlebt habe.
Ich habe Angst. Kalte Angst, vor allem, da Khaled keine Kalendersprüche mehr parat hat. Ich halte Caterinas Hand. Kilometerlang zischen an den Fenstern alte Gebäude mit Vorzelten vorbei, in denen Schwarzhandel mit Waren aus Libyen betrieben wird, wie Khaled hastig erklärt, die Augen immer im Rückspiegel. Hinter den Häusern sieht man bis zum Horizont nur Steppe. Reifenstapel, Teppiche, Paletten voller Klimaanlagen in riesigen Kartons. Uralte Pick-ups, die nur noch aus Rost bestehen, rumpeln die billig eingekauften Waren aus Libyen hierher. Der Transporter hängt uns im Nacken, bis die betriebsame Handelszone hinter und die Straße zur Grenze offen vor uns liegt. Khaled drückt das Pedal durch, und der Bus wird kleiner und kleiner. Die Angst nicht.
Links und rechts der Straße tauchen nach einer Weile Zäune und Zelte auf. Bewaffnete Posten stoppen unsere schnelle Fahrt, rufen »Khaled!!!« und winken uns weiter. Mein Hirn ist kaum fähig, zusammenzubringen, was es vor den Scheiben sieht, weil es so etwas nur aus dem Fernsehen kennt. Wir durchqueren gerade ein gigantisches Flüchtlingslager, das kilometerweit vor der Grenze in die Wüste wächst. Der Gegenverkehr nimmt wieder zu, große Laster und rostige Reisebusse kommen uns entgegen. Die Straße öffnet sich zu einem weitläufigen Platz vor kolossalen, rechtwinkligen Torbögen. Die Grenze zu Libyen. Khaled stellt den Wagen ab. Vom Transporter ist nichts zu sehen. Auf der rechten Seite des Platzes versammeln sich die Menschen vor einem größeren Gebäude, in dem eine Imbissstube untergebracht ist. Nur fünfhundert Meter weiter betritt man ein Land, über das womöglich bald die Bomber fliegen, und hier backt man Pizzastreifen.
Khaled zeigt auf das Gasthaus: »Da rein.« Caterina steigt aus dem Wagen und setzt so vorsichtig ihren Fuß auf den Boden von Ras Jidr, als sei er glühende Lava. Rahime lüftet die Plane. Khaled gibt ihr ein Kopftuch und führt sie aus dem Wagen. »Houssen!«, befiehlt er, und sein Assistent beginnt genau in dem Augenblick, wo wir loslaufen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem er die Verteilung der Spenden ausruft.
An einem großen runden Tisch in der Ecke des dunklen Speiseraums sitzt ein gedrungener Mann und blättert in einem mit Kugelschreiber vollgekritzelten Block. Jede Seite ist maximal ausgenutzt. Die Schrift sitzt auf den Linien wie angeklebt.
»Bilel«, sagt Khaled und der Mann blickt auf. Das übliche ›Khaled!!!‹ sendet er nur mit seinen glänzenden Augen. Die Männer geben sich Wangenküsse. Auf dem Notizblock sind Namen, Herkunftsländer und Personennummern von Flüchtlingen verzeichnet. An Bilels Brusthemdtasche ist ein eingeschweißter Pass des UNHCR angebracht. Er winkt uns, zu folgen. Wir passieren die Kaffeetheke und durchqueren einen Flur, der an Toiletten vorbeiführt, die noch schlimmer stinken als die Klos der Ruhr-Uni. Am Ende befindet sich eine Tür ohne Klinke. Bilel sieht sich um, zieht eine Klinke aus der Tasche, steckt sie auf den Stift, öffnet das finstere Loch und winkt uns hinein. Der Raum ist fensterlos. In der rechten Ecke steht Bilels Schreibtisch, geflutet von einer alten Lampe. Links ist ein Minifotostudio aufgebaut. Rechts gammelt eine alte Garderobe mit Klappspiegeln und dicken Glühbirnen vor sich hin. Hinter dem Schreibtisch führt ein Durchgang in einen schmalen Raum mit Betten.
Bilel lässt sich in seinen Stuhl plumpsen, lächelt Rahime an und deutet auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Sie setzt sich. Der große Pirat beugt sich vor, schiebt den Finger unter den Klappdeckel der Akte und öffnet sie. Rahime schaut auf das Papier. Juliette Boullée. Ihr neuer Name. Der große Pirat hat zur Zeit nur eine Französin auf Lager. Rahime stößt Luft aus ihrer kleinen Nase. Bilel senkt fragend den Kopf, flüstert »–ayyid?« und stemmt sich vorsichtig aus dem Stuhl. Rahime macht schmale Lippen: »Ja,
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