Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
verändert sich ihr Blick. Sie deutet ein Lächeln an.
Caterina erzählt Rahimes Geschichte, die junge Frau muss gar nichts mehr selbst sagen. Caterina berichtet mit roten Wangen. Man wird automatisch selber zornig auf diesen Hamadi. Zum einen, weil man nicht den Pass seiner Frau im Tresor einschließt, sie wie ein Schoßhündchen hält und dann jagt wie einen Hasen. Zum anderen, weil die Kräfte so ungleich verteilt sind. Der Diktator und seine Führungsriege sind weg, aber Hamadi und sein Netzwerk stülpen sich weiterhin wie ein Krake über das kleine Land. Rahime kann Tunesien über keinen der Flughäfen verlassen. Die Fährverbindung von Tunis nach Malta ist noch leichter zu überwachen. Kein regulärer Weg per Wasser oder Luft ist passierbar. Weil Hamadi überall seine Beobachter hat und weil der Staat gerade jetzt umso mehr darauf achtet, sein Volk nicht zu verlieren. Tausende von Tunesiern haben nach dem Ende der Diktatur die Chance genutzt und sind ins Ausland abgehauen. Junge Männer bezahlen Schleuser für lebensgefährliche Überfahrten nach Italien. Nicht alle wollen das Land nach der Revolution in Ruhe neu aufbauen. Wer 32 Jahre lang dem Gefühl ausgesetzt war, im Gefängnis zu leben, der geht hinaus, sobald die Tore offen stehen, und fängt nicht an, den Innenhof aufzuräumen. Vor allem nicht, wenn er allein für die roten Tonsplitter drei Tage bräuchte.
»Hartmut sagte am Telefon, Rahime hätte bald einen neuen Pass?«, fragt Caterina.
Khaled nickt und kaut eine Nuss. »Bilel.«
»Wer ist Bilel?«
»Bilel ist … großer Bandit. Sehr großer Bandit. Eigentlich … Pirat. Großer Pirat. Blackbeard.« Khaled lacht.
»Und der Pirat handelt mit Pässen?«
»Pirat handelt mit Zukunft«, erwidert Khaled, schlagartig ernst. »Hast du Geld? Kaufst du bei ihm ein Leben. In seinem Büro. Gehst du rein, bist du Hartmut. Gehst du raus, bist du Horst.« Khaled schmunzelt über sich selbst, dass ihm gerade dieser deutsche Name einfällt.
»Und wo hat Bilel sein Büro?«
»Ras Jidr.«
Rahime horcht auf: »An der libyschen Grenze? Wo jetzt das Flüchtlingslager ist? Choucha?«
»Großer Pirat hilft Menschen«, antwortet Khaled. »Normal Hilfe? Umsonst. Luxushilfe? Dinar. Viele Dinar. Bei Bilel Rahime wird eine neue Frau. Dann wir verschwinden.«
»Du willst mit uns an die Grenze zu Libyen fahren?«, stoße ich aus. »Das hast du mir aber noch nicht erzählt.«
»Alles hat seine Zeit«, sagt Khaled.
»Ich dachte, wir gehen irgendwo zu einem Beamten, er steht erfreut vom Schreibtisch auf, ruft ›Khaled!!!‹, und dann läuft das. Stattdessen willst du an die Grenze zu Libyen? Da herrscht Krieg. Die UN kann jeden Moment Luftangriffe auf Gaddafi fliegen!«
»Auf Gaddafi. Nicht auf Lager. Kein Hasenfuß sein, kurz vor dem Ziel.«
»Was heißt denn hier Hasenfuß?«, rege ich mich auf und laufe durch das Zimmer. Ich habe Grund zur Sorge, denn ich kenne Gaddafi. Jawohl. Ich kenne ihn so gut, wie ich Professor Adorno kenne oder all die anderen Köpfe, deren Texte sonst niemand vollständig gelesen hat. Raus aus meinem Elternhaus und drin in der Uni, wollte ich wissen, was es mit »dem Irren« auf sich hat. So nannte ihn meine Mutter immer. Der Irre. Große Sonnenbrille, eckiger Kopf, schmaler Schnurrbart. Der Irre hat Bücher geschrieben, und ich habe sie gelesen, heimlich. Hätte ich es zu Schulzeiten getan, wäre ich von meiner Mutter in die Geschlossene verfrachtet worden. Gaddafis Das Dorf, das Dorf, die Erde, die Erde und der Selbstmord des Astronauten wirkt, als hätten sich Helge Schneider, Dietmar Dath und Peter Sloterdijk zusammengetan. Wäre es unter ihren Namen erschienen, hätte es das Feuilleton aufgemischt. Ich schob Das grüne Buch und Vision hinterher, schwärmerische Universaltheorien für eine perfekte Gesellschaft. Das Wort »der Irre« galt nach der Lektüre erst recht, bekam aber eine andere Färbung. Wenn dieser Mann wirklich glaubt, dass er in seinem Land umsetzt, was er in seinen Büchern schreibt, dann muss ihm die Revolution gegen ihn so vorkommen wie die größtmögliche Frechheit undankbarer Kinder, denen er doch eigentlich gerade das Paradies baut. Oder wie ein Staatsstreich, den das Ausland lenkt. Beides muss ihn fuchsteufelswild machen. Niemand ist gefährlicher als ein Mann, der seinen Zorn für gerecht hält. Und der die Mittel hat, diesem Zorn Ausdruck zu verleihen.
»Können die Frauen hierbleiben und warten?«, frage ich.
»Rahime muss mit. Für Fotos. Bilel macht
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