Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
wäre es erst gestern geliefert worden. Selbstverständlich in einer Qualität, die heute niemand mehr bieten würde. Wir sitzen in einem geräumigen Erker mit Flügeltüren zu einer großen steinernen Terrasse. Das Grün hinter dieser Terrasse ist mehr Park als Garten. Ginge es nach meiner Mutter, würde es an einem See enden. Dann wäre dieses Haus das Landgrafenschloss.
»Anna!«
»Ja, bitte, Frau Grosse.«
»Ist für heute Abend alles vorbereitet?«
»Für die Servicekräfte kann ich keine Verantwortung übernehmen, aber alles andere ist perfekt vorbereitet.«
»Bitte?«
»Wir konnten mit dem neuen Unternehmen noch keine Erfahrungen sammeln, und mit dem alten wollten Sie nicht mehr zusammenarbeiten.«
»Richtig. Dessen Personal ließ nach. Machen Sie sich keine Sorgen, Anna, neue Besen kehren gut. Da wir schon mal dabei sind: Caterina, halte dich bitte heute Abend etwas zurück. Es ist nicht nötig, dass du von deinen kleinen klecksenden Versuchen erzählst. Es geht heute Abend ausschließlich um Alejandro. Sei nur nett, ja?«
»Ich kann auch einfach in meinem Zimmer bleiben.«
»Nein, das kannst du nicht. Alejandro hat speziell nach dir gefragt, was auch immer das soll.«
»Bin ich wirklich so eine große Schande in deinen Augen?«
»Nein, du bist mein Sonnenschein, leider nur seit einigen Jahren von zu vielen Wolken verdeckt.«
»Frau Grosse, der Wagen wäre dann bereit.«
»Danke«, sagt sie und steht auf. »Caterina, Schatz, mach doch einfach einmal das, was man dir sagt. Das kann doch nicht so schwer sein, oder?«
Es ist, als wäre ich fünfzehn.
Wenigstens sieht mein Zimmer nicht mehr aus, als sei ich niemals ausgezogen. Damals war ich allerdings etwas geschockt – bereits eine Woche nach meinem Auszug fand ich in meinem ehemaligen Reich ein völlig renoviertes und neu eingerichtetes Gästezimmer vor.
An den Wänden hängen ein paar Originale. Natürlich nicht von mir. Die wertvollsten sind zwei Bilder von Egon Schiele, lasziv drapierte Frauen mit weit gespreizten Beinen. Körper, die aussehen, als wären sie geschlagen und geschunden worden und hätten dabei auch noch Spaß gehabt. Das liegt an der Art der Zeichnung. Harte Striche konturieren ihre Gestalt, die weiblichen weichen Rundungen ins Gegenteil verkehrt und eckig interpretiert, was selbst üppigen Formen etwas Ausgezehrtes verleiht. Über den harten Konturen, die lediglich im Bereich der Geschlechtsorgane genauer werden, legte Schiele leichte, fleckige Aquarellfarben, die ein Kritiker schon 1918 als »die Farben der Verwesung« bezeichnet hat. Ich sehe die hohe Qualität der Technik und des Strichs und bin fasziniert von Künstlern, die ihren eigenen Weg gehen. Aber ist deren Existenz der Beweis für die Fehlerhaftigkeit, sich statt einer anklagenden oder gebrochenen Ästhetik der Schönheit zu widmen? Die Frauen in den beiden Bildern spreizen ihre Beine noch breiter und zeigen mir, woher ich komme und dass genau dort meine Verpflichtung liegt. Ich habe meine Mutter enttäuscht. Ich bin einfach zu harm- und zu konturlos. Sie wäre stolzer auf mich, würde ich Versicherungen verkaufen. Aber schöne Bilder malen zu wollen, ohne wenigstens einen intellektuellen Bruch, ist of-fensichtlich jenseits alles Denkbaren für eine Grosse mit Talent.
Ich lasse mir eine Wanne in meinem Bad ein. Mein Herzblatt würde sich für dieses Bad freiwillig dreißig Jahre foltern lassen. Ein Traum aus hellem Sandstein, mit einer ebenerdigen Regenwald-Massage-Mixdusche hinter Glas und einer großen und besonders tiefen ovalen Wanne, in der man auch locker zu dritt baden könnte. Ein geniales Lichtkonzept aus versteckten LEDs macht aus dem Bad eine perfekte Wohlfühloase.
Das ganze Haus ist ein Traum. Eine Nullenergie-Villa mit riesigen Räumen, die äußerst geschmackvoll eingerichtet sind. Ich habe mich hier schon immer wohl gefühlt. Solange meine Mutter nicht in der Nähe ist.
Ich ziehe mich aus und stelle mich vor den Spiegel. Meine langen roten Locken fallen weich über meinen Rücken.
»Spieglein, Spieglein an der Wand, bin ich die Fetteste im ganzen Land?«
»Ihr, Prinzessin, seid rank und schlank, macht Euch nicht krank in diesem Land! Die Königin Mutter ist dünn und starr, doch ist sich dessen nicht gewahr. In ihrem Kopfe ist sie die Fette, drum läuft in ihr die stete Wette. Der Einsatz ist ihr Seelenheil, doch über ihr schwebt das Unglücksbeil.«
Guter Spiegel.
Der Schaum hat dichte hohe Wolken gebildet, in die ich mich langsam
Weitere Kostenlose Bücher