Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
richtige Richtung. Die Freude ist also größer als die Enttäuschung. Das gefällt mir ebenfalls.
»Liebes«, Luftküsschen links, Luftküsschen rechts, »du siehst bezaubernd aus.«
Erst jetzt sehe ich, dass Alejandro Barturo mit ihr herübergekommen ist. Er stammt aus einer Dynastie spanischer Stierkämpfer und könnte selbst als einer durchgehen. Groß, dunkle Haare, braune Augen, sportliche Figur, gutaussehend, arrogant wirkend, kaum älter als ich, in der Summe fast ein wenig langweilig. Völlig ohne Bruch. Optisch so, wie man sich den Spross einer solchen Familie vorstellt. Doch Fleisch hat er schon als Kleinkind ausgespuckt. Nachdem er als Siebenjähriger 250 Kampfstiere von einer Koppel gejagt hatte, um sie zu retten, wurde er zu seiner strengen Tante nach Deutschland geschickt, in der Hoffnung, er würde zur Familienehre zurückfinden. Tante Elena brachte ihn in eine Jugendgruppe von PETA und hasst mit ihm gemeinsam mehr oder weniger heimlich das Familienunternehmen.
»Caterina, Schönste aller Schönen, ich danke dir, dass du meine Schöpfung mit deiner Anwesenheit krönst«, sagt er so laut, dass es alle hören müssen. Er meint das wirklich so. Er nimmt meine Hand, beugt sich über sie und gibt mir einen Handkuss, allerdings nicht ganz formvollendet, denn er nutzt die Gelegenheit, mir einen echten, leichten Kuss auf die Haut zu drücken.
Auch das gefällt mir, aber ich entziehe ihm meinen Arm.
Meine Mutter ignoriert es und geht zu ihren Gästen.
»Hast du schon alle begrüßt?«, frage ich Alejandro.
»Ja, deine Mutter war unerbittlich.«
»So ist sie.«
Ein Tablett schwebt an einer schwarzweißen Gestalt heran. Es stehen verschiedene Getränke darauf. Ich wähle einen Orangensaft.
»Ich habe dich in den letzten vier Tagen vermisst.«
»Ich dich nicht.«
»Oh, jetzt sei nicht so streng. Tu doch wenigstens einfach so, als würde ich dir was bedeuten.«
»Du bedeutest mir etwas. Du lässt mich in deinem Atelier arbeiten.« Das flüstere ich, mit einem scharfen Blick auf meine Mutter, die am anderen Ende des Raumes mit einem potentiellen Kunden lacht. Sie reagiert nicht. Auch ihr Fledermausgehör hat Grenzen.
»Du bist pragmatisch.«
»Danke!«
»Sollen wir uns ein wenig amüsieren?«
»Du meinst …« Ich deute mit dem Kinn auf die Gäste.
Alejandro nickt. Ich hake ihn unter, und wir gehen gemessenen Schrittes auf das teuerste seiner Werke zu. Alejandro zittert, hält den Kopf minimal schräg, und es könnte sogar sein, dass er ein klitzekleines bisschen humpelt. Wir stellen uns vor das Bild. Er ist sich bewusst, dass er keine Sekunde aus den Augen gelassen wird. Schon schleichen sich die Kunstexperten an und wollen intime Details aus dem Künstlerleben erhaschen. Nur so bekommt ein Werk für sie seine innere Spannung. Sie sehen nicht die Komposition, die Farben, das Licht, das Material. Sie brauchen Erklärungen und intimen Einblick, am liebsten tragischer Natur. Alejandro zittert stärker. Barry Guy unterstreicht sein Gebaren, als würde ein Stummfilm mit Live-Improvisation laufen.
»Herr Barturo, das ist zweifellos ein Meisterwerk«, sagt eine Frau in einem mintgrünen Kleid, das hinten lang ist und vorne ihre knochigen Knie frei lässt. Sie streckt beide Hände aus, formt aus ihren Daumen und Zeigefingern ein Rechteck und peilt damit verschiedene Stellen des Gemäldes an.
Alejandro lässt den Kopf nach vorn fallen.
»Geht es noch, Alejandro?«, frage ich mit bewegtem Mitgefühl. Alejandro nickt in kurzen kleinen Bewegungen, die er immer kürzer und kleiner werden lässt. Wie der Wackeldackel aus den Siebzigern.
»Ich sehe Schmerz und Verzweiflung in diesem Werk. Jemand, den Sie liebten?« Mintgrün versucht, auf den Busch zu klopfen. Ich sehe Sensationsgier blitzen. Der Kreis um Alejandro verdichtet sich.
Ich warte. Gleich wird es passieren.
Alejandro krümmt sich, und ein Schwall aus Tränen ergießt sich über sein Gesicht. Als er das geschafft hat, hebt er ruckartig den Kopf und offenbart seine nassen Wangen. Das Kinn zittert. Das können die ihm doch nicht ernsthaft abkaufen! Auf der Stirn meiner Mutter sehe ich eine hauchdünne Zornesfalte. Alejandro lässt die Tränen weiterlaufen.
»Hermana mía, mein Schwester. Yo sie sehe zuletzt mit siebe. Wir uns als Kinde sehr geliebt. Sehr vermisst. Uns heimlich schreiben. Alle Jahre. Letzte Jahr sie fliehen von Familie. Kommt Alemania. En tren. Mit Zug. Verstehen? Wolle hole ab sie von el tren. Uns sehe auf Bahnsteig, ich laufe.
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