Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
blutiges Spiel, das mir kaputtgegangen ist.« Haiko schaut auf die Packung. Ein kurzes Lachen schießt aus seinem Hals. Er stellt das Blut wieder in den Kühlschrank und atmet tief aus. Er schließt die Augen und schüttelt den Kopf. Er schämt sich für die Unterstellung. Er ist ein sehr korrekter Mann. Ich frage mich allerdings, wo er seine Waren aufbewahrt.
»Also«, sagt er und setzt sich an seinen PC. »Playstation 3, Medal Of Honor .« Er gibt den Titel in eine Suchmaske ein, wie ein Buchhändler. »Da haben wir’s! Regal 12, Fach 27.« Er steht auf. Regal 12? Wovon redet der Mann? »Ich bin froh, dass du einfache Wünsche hast«, sagt er, geht zu dem großen Mandala und schiebt es beiseite. Wir betreten ein langgezogenes Lager mit schmalem Mittelgang, von dem zahllose kleine Regale abzweigen. Es sind all die anderen Appartements auf Haikos Seite des Flurs; die Wände wurden herausgeschlagen und die Zimmer entkernt, umgebaut zu einem geheimen Warenhaus. Die Regale und Fächer sind nummeriert. Bis an die Decke stehen hier Videospiele, CDs, Bücher, Filme, Blu-ray-Player, Flachbildfernseher, portable Pizzaöfen, Stabmixer. In Haikos Glas klimpern die Würfel. Er trägt eine Uhr, die man nicht im Uni-Center kaufen kann.
»Wann hast du denn die ganzen Wände rausgerissen?«
»Habe ich nicht«, sagt er und schiebt mit der Fingerspitze eine vorstehende DVD wieder auf Kante. »Das war alles schon so. Habe ich nur übernommen. Es gab hier bereits ein Filmstudio für Pornos, ein Forschungslabor und eine Praxis für Schönheitschirurgie.«
Er biegt zwischen Regal 12 und 14 ein.
»Wie heißt du denn?«
»Haiko Bobelin. Steht doch an der Tür.«
»Nein, ich meine wirklich. Ich verrate auch nichts.«
»Haiko Bobelin«, sagt er erneut und fährt mit dem Finger an den Titeln entlang. »Das ist doch die beste Tarnung in diesem Haus! Der echte Name. Da kommt kein Mensch drauf.« Sein Finger stoppt, wo das Spiel stehen müsste. Tut es aber nicht. Wo Medal Of Honor stehen sollte, steht statt dessen Midnight Club: Los Angeles .
»Oh«, sagt Haiko. »Das ist jetzt peinlich.«
»Der Krieg ist schon ausverkauft?«
»Anscheinend«, sagt er. »Und nicht aus dem Warenbestand genommen. Das muss neulich passiert sein, da war ich wieder durch so einen Blutfreak abgelenkt. Aber vielleicht wollte das Schicksal, dass du dieses Spiel nimmst!« Er zieht Midnight Club aus dem Regal und hält es mir vor die Nase. Es ist ein Open-World-Rennspiel. Man lebt das Leben eines halbkriminellen Autotuners in Los Angeles. »Lass mich raten. Wenn du genau dieses Spiel jetzt brauchst, dann bedeutet das, du fühlst dich ein wenig orientierungslos und allein. Du willst nicht vorwärtsgehen, lieber im Kreis fahren. Viel Lautsprecherei machen, aber niemanden an dich ranlassen. Warst du schon mal in Los Angeles? Da kann man tatsächlich so leben, als wäre man in einem Spiel. Als wäre alles egal. Reiche Hochstapler, echte Gangster: Jeder macht, was er will. Der Hollywood Boulevard und die kriminellen Viertel liegen kaum weiter auseinander als Querenburg und Langendreer.«
»Zehn Euro?«, frage ich.
Er nickt. »Weil du’s bist.«
Wir geben uns die Hand. Seine Uhr könnte man nicht mal in der Bochumer Innenstadt kaufen. Auf dem Flur wartet das Tischtännchen.
Zurück im Zimmer, stinkt es. Yannick sitzt friedlich zusammengerollt auf dem Bett und hat die Augen halb geschlossen. Er tut unschuldig.
»Wo?«, frage ich.
Die Äuglein bleiben zu, aber die Zungenspitze zischt kurz hervor, poliert die Nase und zieht sich wieder rein. Ein leises, schmatzendes Geräusch. Mlitsch. Ich hocke mich auf den Boden und suche. Unter dem Bett, dem Schreibtisch, dem winzigen, einbeinigen Küchentisch. Mlitsch. Die Katerzunge verspottet mich. Augen zu und »mlitsch«.
»Ja, da hast du Spaß dran!«
Der Kater hebt kurz den Kopf. Als schaue er hoch zum Regal.
»Nein«, sage ich, stehe auf und wedle mit dem Finger. »Nei-hei-hein.« Ich greife nach den Schuhen, die ich aufs oberste Fach gestellt habe. Heute in der Früh erst mit Spüli gewaschen. Hole sie runter. Nase rein. Wurst. Würgreiz. Yannick lacht sich hinter seinen geschlossenen Augen lautlos kaputt.
»Wie bist du da hochgekommen?«, frage ich, und seine Ohren bewegen sich stolz. Ich muss ihn mehr beschäftigen. Ein Mist, dass man mit Katzen nicht einfach Gassi gehen kann.
Es klopft.
»Keine Linguistik-Arbeiten! Keine Fachschaftsfahrt! Kein Salz!«
»Wir sind’s! Jochen und Mario.«
Yannick
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