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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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mich, weil ich ihr nicht nahe bin.
    Ich nehme das Buch wieder auf und blättere weiter. St. Germain, Tunis, Hammamet, Kairouan. Die Städte sehen heute anders aus. Auch die Menschen. Da kann man nicht mehr so eine Farbenpracht erwarten. Wahrscheinlich gibt es auch nicht mehr ganz so viele Esel und Kamele auf den Straßen. Ich weiß aber, dass man im Süden neben dem Tourismus stärker auf traditionelle Formen achtet. Beim Hausbau und manchmal auch in der Kleidung. Also, ich würde nach Djerba reisen. Oder noch weiter südlich, in die Orte bis zur libyschen Grenze, wenn es da wieder ruhiger wäre. Vielleicht auch in die Wüste. Da war Macke nicht, aber ich wette, das Licht wäre aufregend.
    Ich sehe mir die Bilder noch genauer an. Macke hat mit Bleistift auf den Aquarellblock skizziert. Er brauchte immer eine Weile, bis die Proportionen stimmten. Radiergummis gab es zu seiner Zeit schon lange, aber er benutzte keinen. Manchmal scheint er ungeduldig gewesen zu sein. Ein paar der Farben sind ineinandergelaufen. Ich blättere vor und zurück. Nein, er war nicht ungeduldig, das war ein Stilelement, auf das er nicht verzichten wollte. Aber er hat es nur sparsam genutzt. Ich präge mir jeden einzelnen Strich ein. »Dem Ungetriebenen bleibt nur die Technik. So ist das eben.« Ein ärgerlicher Zitatenschatz. Die Mutter im Kopf erspart das eigene Denken.

    »Caterina! Was liest du denn da?« Die Stimme meiner Mutter hinter der Sonnenliege schreckt mich auf. Ich hätte die Zimmertür abschließen sollen.
    »Ich sehe mir Bilder von August Macke an, Mutter.«
    »Passt dir die Dekoration in diesem Zimmer nicht mehr?«
    Oh, selbst Egon Schiele ist ihr nicht gebrochen genug. Auch er ist nur »Dekoration«. Diese harte Linie ist neu. Die Frauen auf den Bildern drehen sich um und zeigen ihre blanken Hintern.
    »Gut, gehen wir mal weiter in die Vergangenheit. Egon Schiele und August Macke waren Farbenkleckser. Geschenkt. Was ist mit Leonardo da Vinci oder Albrecht Dürer?«
    »Beide gute Handwerker eines Zeitalters, in dem es noch keine Fotografie gab. Auftragsmaler. Wobei Leonardo natürlich ein Träumerle war. Aber deswegen bin ich nicht gekommen. Ich wollte eigentlich fragen –« Bei Harald Schmidt gäbe es jetzt ein Hohoho-Lachen.
    »Ein Träumerle?!«
    »Ja, meine Güte. Seine ganzen Erfindungen, die nicht so richtig funktionierten.«
    »Sie waren Inspiration für die Entwicklungsgeschichte der Technik.«
    »Ach ja, das kann man rückblickend immer sagen.«
    »So ignorant kannst du doch nicht sein!« Ich schüttele den Kopf.
    »Wer ist denn hier ignorant? Du hältst die Abbildung der Wirklichkeit, auch wenn sie bei Leuten wie Schiele und Macke einen gewissen Abstraktionsgrad aufweist, für große Kunst, mein Kind. Aber was da fehlt, ist die Seele. Das Leid. Die Geschichte. Nicht hinter dem Bild, die Geschichte hinter der Künstlerseele.«
    »Aha, so wie Alejandros Geschichte?«
    »Das war nicht echt. Auch wenn wir so tun wollen, als wäre sie wahr.«
    Meine Mutter wischt sich mit den Fingerspitzen ein imaginäres Staubkorn von der Schulter.
    »Alejandros Bilder sind intensiv und großartig. Die brauchen keine gefakten Geschichten. Du kaufst sie doch auch nicht, weil du die Geschichte glauben willst.«
    »Nein, ich kaufe sie, weil sie intensiv und großartig sind und Alejandro auf dem Weg ist, ein Künstler zu werden. Aber du verstehst offenbar nicht, was einen Künstler von einem Maler unterscheidet.«
    »Du willst mir jetzt erklären, dass Dürer, Leonardo, Schiele und Macke keine Künstler waren.«
    »Ich erkläre dir, wieso Picasso, Dalí und Klimt Künstler waren und dein Macke nur ein Maler mit seiner ›Seligkeit der Farben‹. Es ist irrelevant, wie technisch versiert ein Künstler ist. Ob er sich bei der Fertigung seiner Werke viel Mühe gibt oder wenig. Ein Künstler hat Inspiration und wagt die Innovation. Er muss seine Wut, seine Provokation oder sein Leid künstlerisch ausdrücken. Aber was den Künstler wirklich ausmacht, ist die Rezeption, der Empfang der Botschaft. Die Vermittlung eines kulturell relevanten Wertes. Ein Maler oder Bildhauer oder was auch immer kann in seinem stillen Kämmerlein technisch brillieren – aber einen Künstler darf er sich nur nennen, wenn ihm die Menschen zu Lebzeiten aufgrund seiner Werke die Füße küssen, er von seiner Arbeit hervorragend leben kann und seine Kundschaft für den Rest ihres Lebens über sein Schaffen erschüttert ist!« Meine Mutter hat die letzten Sätze

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