Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Forderungswortlautentwurf fertig haben, mailen wir ihn zur Kenntnisnahme in die Runde. Auf der nächsten Versammlung stimmen wir darüber ab und besprechen die weiteren Maßnahmen. Ich bitte nun um Namensnennungen für das Vorstandsgremium.«
Herr Thier schreibt seinen Namen als Erstes auf das hinter ihm stehende Flipchart. »Wer hat noch Kapazitäten frei, die Schriftsätze zu diskutieren?«
Zwei stille männliche Haarschöpfe aus der vorderen Reihe nicken. Herr Thier schreibt ihre Namen auf, ohne sie danach zu fragen.
»Ich will, dat dä Rick dobei es«, ruft Trude.
»Ävver nor, wann do och mit mähs, Trudche!« Rick drückt sie fest und erhält viel Applaus. Er strafft seine Schultern und verbeugt sich leicht zum Publikum.
Herr Thier bleibt etwas zu lange regungslos, bis er auch ihre Namen auf dem Flipchart notiert. »Ist noch jemand interessiert?«, fragt er in den Raum »Gut, dann stimmen wir nun ab, ob wir diese fünf Personen als Gremium der Bürgerinitiative gegen den Abriss von Häusern zum Zweck des Ausbaus der Neusser Straße im Bezirk Weidenpesch bestätigen können. Gemäß unserem derzeitigen Kenntnisstand, selbstverständlich. Ich bitte um Handzeichen. Wer ist dafür? Machen wir es einfacher – wer ist dagegen? Niemand. Wer enthält sich der Stimme? Einer. Gut, damit ist dieses Gremium bestätigt. Bitte tragen Sie sich nun in die Liste ein. Ich danke Ihnen für Ihr zahlreiches Erscheinen.« Herr Thier wirkt eine Mikrosekunde lang erschöpft.
Unter den Haaren regt sich Erleichterung, diese Hürde geschafft zu haben, auch die Köpfe von Tünnes und Schäl lachen erleichtert. Die Büste von Willy Millowitsch schnarcht leise. Doch Jean Pütz, Willi Ostermann, Konrad Adenauer, Jacques Offenbach, Carl Bosch und Heinrich Böll sind sich selten so einig wie in diesem Moment. Sie blicken aus ihren zwei- und dreidimensionalen Darstellungen schmalschlitzig auf Herrn Thier und die beiden stillen Männer, mit denen er nun leise spricht.
Eine Stunde später hat sich ungefähr die Hälfte der Haare in plaudernde Menschen verwandelt, die an den Tischen und an der Theke sitzen geblieben sind. Meine Mutter hat für heute Abend neben der Köchin noch zwei Küchenhilfen und zwei Servicekräfte rekrutiert. Ich bin froh, dass sie mich nicht abkommandiert hat. Wenigstens das erspart sie mir heute.
»Kind, willst du noch was essen? Es ist ja doch spät geworden, aber du musst noch was zu dir nehmen. Ehe alles weg ist, meine ich. Ich hole dir einen halven Hahn, ja?«
»Ich habe aber jetzt keine Lust auf ein Gouda-Röggelchen.« Wenn ich an die Gurke und die rohen Zwiebelringe denke, wird mir schlecht, aber das sage ich ihr besser nicht.
»Susannchen, ich bin deine Mutter und ich weiß, was gut für dich ist. Rievkooche mit Apfelmus gibt es nur montags, Himmel un Ääd met Flönz magst du nicht.«
Da hat sie vollkommen recht. Geräucherte Flönz, also ein Stück kölschen Blutwurstring mit quadratischen Fettstücken, mag ich nur maximal einmal alle zwei Jahre. In Scheiben angebraten, wie im Gericht »Himmel un Ääd«, kriege ich sie gar nicht runter. Die gebratenen Apfelringe mit dem Kartoffelbrei mag ich allerdings schon. Heute will ich aber was Herzhaftes.
»Bleiben also nur noch Buurefröhstöck oder frische Bremsklötz.«
»Oh ja, das ist genau das Richtige! Kann ich denn vielleicht das Röggelchen ohne Käse, dafür mit Frikadelle haben, Mama?«
»Ich nehme dann mal Himmel un Ääd met Flönz. Das klingt exotisch. Bauernfrühstück kenne ich auch aus Dortmund«, sagt Udo.
Meine Mutter lächelt mir zu. Einen Tisch weiter wird sie aufgehalten.
»Haben Sie auch Bier?«
»Natürlich haben wir Kölsch. ›Früh‹, frisch vom Fass.«
»Das ist nicht bio.«
»Ich habe auch Bio-Kölsch. Flaschenbier von Hellers. Aber nach dem Reinheitsgebot ist praktisch jedes Kölsch bio.«
»Ach, Kölsch ist so oder so eher eine Fassbrause. Haben Sie denn kein richtiges Bier?«
»Ich habe die komplette Kollektion von Hellers. Die brauen alles in Köln und achten komplett auf Bioqualität. Kölsch, Pils, Weiss, Weizen, Weizenbock und Maibock«, sagt meine Mutter mit routinierter Freundlichkeit.
»Also kein Altbier.«
Schlagartig wird es wieder still in der Kneipe. Sogar die Höhner, die leise im Hintergrund »Mer stonn zu dir, FC Kölle« singen, verstummen.
Alle Blicke richten sich auf den Mann, der soeben dieses kleine Wort aussprach. »Hee gitt et kein ald Bier!«, brüllt jemand, und alle lachen.
»Wir schenken
Weitere Kostenlose Bücher