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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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jaaaaaaaa!!!
    Ein unfasslicher Schmerz beendet meine Wonne. Er strahlt aus von meinem linken, kleinen Zeh. Es fühlt sich an, als habe ihn jemand in eine Rohrzange geklemmt und um 120 Grad gedreht. Das liegt daran, dass er in eine Rohrzange geklemmt wurde und gerade um 120 Grad gedreht wird. Die Rohrzange endet in der Hand einer Bademeisterin, die resoluter ist als ihr 400-Euro-Teilzeit-Kollege.
    »Schichtwechsel!«, beantwortet sie meine nicht gestellte Frage, und ich quietsche und flehe, wie es statt Chuck Norris ein realer Mann in der Gefangenschaft des Vietcong getan hätte.
    »Du Sau! Holst dir einen runter im Babybecken! Ich dreh dir den Zeh ab, ist mir ganz egal! Das Recht ist auf meiner Seite.«
    Entgegen ihren Worten löst sie die Zange ein wenig, so dass ich schweißgebadet antworten kann: »Ich habe mir doch keinen runtergeholt.«
    Die Zange packt wieder zu. Und wie die zupackt. Oh mein Gott, das ist die Strafe für die Napalmbomben auf das Mekong-Delta und die Tatsache, dass wir deutschen Jungs früher Videothekengebühren für Missing In Action und Rambo 2 bezahlt haben.
    »Du hast gestöhnt, du Ferkel! Ohhh … ohhhh ja … ohhhhhhhhh jaaaaaaaa!!!«
    »Das habe ich laut gemacht?«
    »Und wie!«
    Sie dreht. Gleich ist der Zeh ab.
    »Aber das war doch nicht wegen Onanie. Das war doch nur, weil ich keine Badewanne mehr besitze und das Babybecken mein erstes gültiges Wannenbad seit Monaten ist.«
    »Du brauchst eine Wanne, du Hund?«
    Ich nicke, die Lippen und Augen vor Schmerz zusammengepresst. Der Zeh ist verloren im feuchten Stahl. Sie lässt los. Ich schreie, denn das Loslassen tut noch mehr weh als das Festhalten.
    »Dann raus hier, such dir eine Wanne und schlepp sie in deine Bude, wo immer du wohnst. Du hast Hausverbot!«

    Ich humpele in den zehnten Stock zurück. Yannick sieht mich besorgt an, als ich das Zimmer betrete. Konsole und Computer laufen noch. Ich schnüffele. Heute kein Zielscheißen. »Braver Kater«, sage ich. »Das war eine phantastische Idee mit den Spanngurten.« Auf dem Laptop blinkt der Cursor in einer geöffneten »neuen Mail«. Im Eingang ist Post. Mario schreibt:
    Jochen sagt, so einfach ist das nicht. Entschuldigen dauert eine Sekunde. Gips dauert sechs Wochen. Hilfe lehnt er ab. Er will Dich gerade nicht sehen. Handlungen haben Konsequenzen, in der echten Welt.
    M.
    Ich seufze. Auf der Konsole wartet mein Auto geduldig auf Abfahrt vom Hof. Ich muss immer noch Hartmut schreiben. Eine erfundene Geschichte. Es geht nicht anders, denn zur »Wahrheit« ist neben einer viel zu kleinen Wohnung und einem Kater mit 125er IQ, der bei Unterforderung um sich scheißt, jetzt auch noch ein geschwollener Zeh wegen Rohrzangenfolterung durch eine gewissenhafte Bademeisterin hinzugekommen. Bevor ich schreibe, muss ich aber erst mal spielen und den Zeh hochlegen. Ich setze mich aufs Bett, nehme das Joypad und fahre langsam los. Die Sonne klebt gleißend im giftig gelben Himmel der Stadt. An einem seltsamen Designerhaus schräg gegenüber hängt eine Werbung von Bang & Olufsen. Midnight Club: Los Angeles ist ein Open-World-Game. Das heißt, ich muss kein Rennen, das mir angeboten wird, annehmen. Ich muss kein Geld verdienen oder Punkte machen, ich kann auch einfach nur in Schrittgeschwindigkeit durch die Metropole kriechen und mir alles ganz genau ansehen. Im Grunde wie ein UPS-Kollege in den Lieferwagen, der seine Adressen sucht.
    Das ist es!
    Natürlich!
    Ich erinnere mich daran, was Hartmut mir damals in der Schule erklärt hat. Es war mit das Erste, was er mir erläuterte, den gelehrten Finger erhoben. Die lose Schulterschlaufe der Hummel-Jacke wackelte beim Sprechen auf und ab, und seine Koteletten, die er sich damals bereits wachsen ließ, richteten sich auf, als angelten sie nach den Frequenzen neuer TV-Sender. »Wer schwindelt, benötigt Details«, dozierte er damals und erinnerte sich daran, wie er als Siebtklässler seine Mutter von den schlechten Noten in Mathe ablenkte. »Fragt eine Mutter danach, wie es in der Schule war, erregt man den größten Verdacht, wenn die Antwort lautet: Gut. Sofort wird sie misstrauisch. ›Gut‹ heißt, der Filius hat die Turnhalle angezündet, eine Sechs geschrieben oder dem Direktor im Treppenhaus auf den Kopf gespuckt. Folglich …« – solche Wörter hat Hartmut schon als Siebzehnjähriger gerne benutzt – »erzählte ich meiner Erzeugerin stattdessen, Rüdiger habe vor Erdkunde den Krümmer unter dem Waschbecken neben dem

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