Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Klassenschrank aufgeschraubt, und Herrn Hasenwinkel sei alles auf die Schuhe gespritzt, Schuhe aus Schafsleder mit Innenfutter aus Wolle. Dann hörte die Mutter zu und dachte nicht mehr über Fünfer in Mathe nach.« Und einen Spruch weiß ich noch, den Hartmut gerne brachte. Er hatte ihn sogar im Klo bei den Kunsträumen mit grünem Edding an die Wand gemalt: »Allgemeinplätze sind keine überzeugenden Ortschaften.«
Die Playstation brummt.
Der Laptop lispelt.
Dann werde ich mir Hartmuts Lehre mal zu Herzen nehmen.
Lieber Hartmut!
Eben habe ich ein Paket ausgefahren. Ich stehe nicht mehr am Band. Ich sitze im Lieferwagen. Die Adresse war schwer zu finden, denn die Wege sind lang hier in Los Angeles. Sunset Boulevard, Hollywood Boulevard … wenn man diese Straßen nehmen und über der Ruhrstadt abwerfen würde, käme das eine Ende im Duisburger Hafen und das andere in den Hügeln von Witten zum Liegen. Ja, Du hast richtig gelesen. Ich bin in Amerika. Stolle hat mir eine Stelle bei UPS Kalifornien besorgt, samt Visum. Die Firma hat sogar den Flug bezahlt. Der Lohn ist mies und die Hektik groß. Los Angeles ist so unfassbar riesig, und bis auf Downtown ist alles flach. Du kannst dich an nichts orientieren. Jede Palme überschaut mehr als man selbst, wenn man durch die Straßen fährt. Die Bürgersteige sind breit, und ihr Rand sieht aus wie ein angebissenes Käsebrot.
Auf meiner letzten Tour habe ich heute so eine Art Kirchturm gesehen. Rötlich brauner Backstein mit hellen Querstreben und einem kreisrunden Glasfenster an der Spitze. Er ragte an einer Kreuzung hinter einer Tankstelle auf. Ich weiß nicht, ob es eine Kirche war. Hinter dem Turm schloss ein gleichförmiges, dreistöckiges Gebäude an, das sich mehrere Blocks langzog, wie eine Schule oder Kaserne. Vielleicht gehört es auch einer der vielen Sekten.
Das ist schon mal gut. Abgeschrieben von dem, was ich sehe, wenn ich in Midnight Club durch die Gegend fahre. Aber vielleicht sollte das Spiel nicht meine einzige Quelle sein. Beim Stichwort »Sekten« fällt mir was ein. Eine Reportage über Los Angeles im Musikmagazin Horizons , bei dem Hartmut und ich uns in Berlin erfolglos beworben haben. Vor ein paar Jahren haben sie einen Redakteur in die Stadt geschickt, um über Bad Religion und ihre Plattenfirma Epitaph zu berichten. Zwölf Seiten waren das, ohne Werbung, das weiß ich noch. Die Magazine, die ich durch all die turbulenten Jahre behalten habe, kann man an drei Heftständern abzählen. Die Ständer sind aus hellblauem Kunststoff und stehen – eben gehe ich schon hin und hocke mich vor das Regal – rechts unten neben den großen Nachschlagewerken zu den Weltmeisterschaften 1974–2010. Der Packer packt sinnvoll und behält nur, was ihm wahrhaft gefällt. Uralte Sonderhefte der Power Play zum Beispiel, Jahrgänge 1990–1995, wo jeweils eine Seite lang Spiele wie Turrican oder Monkey Island vorgestellt werden und man lesen kann, wie sie wahrgenommen wurden, als sie der letzte Schrei im Walde waren und kein warmes, nostalgisches Echo. Von Horizons habe ich nur zwei Ausgaben behalten. Eine mit Bela B. und Mike Patton auf dem Cover, in der auch eine lange Reportage über NoFX zu finden ist, und die, in welcher der Redakteur mit den Lesern zu Fuß durch die Straßen von L. A. schlendert. Ich überfliege die Geschichte. Er schreibt darüber, wie einem an jeder Ecke Angebote von Gurus gemacht werden, und macht halt an der Zentrale von Scientology, Ecke Hollywood und Vermont Avenue. Das Heft ist drei Jahre alt. Kann sein, dass Hartmut den Artikel noch kennt, aber bestimmt keine genauen Formulierungen. Wörtlich merkt sich Hartmut ausschließlich Sätze, die Philosophen schreiben. Ich tippe die Worte des Redakteurs in meine Mail, als wären es meine Erlebnisse gewesen:
Im Zentrum hinter dem großen Parkplatz der Scientology-Zentrale darf man gratis einen Stresstest machen, ebenso wie vor diversen Filialen am Hollywood Boulevard, an dem sich auch eine Ausstellung über das Leben von Ron L. Hubbard befindet.
Ich frage mich, wo der Journalist gewohnt hat, als er die Reportage schrieb. Ich muss ja auch irgendwo wohnen, wenn ich plötzlich ein Leben in Los Angeles führe. Es darf nicht zu gut sein, nicht Beverly Hills oder Westwood, aber auch nicht mitten im Ghetto, das würde Hartmut mir nicht abkaufen. Das Rennspiel blendet auf Wunsch zu einer Straßenkarte der Stadt auf, die wie Google Earth aussieht. Das ist es! Ich nutze das echte Google
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